Die Unvereinbare

Obermaier mag die Film-Wahrheit: die Frau, die sich vom Leben nimmt, was sie möchte„Alle Tabus sind gebrochen“, sagt Uschi Obermaier, „da gibt’s nichts mehr“

VON JOHANNES GERNERT

Jetzt streiten sie wirklich darüber, wie vor 37 Jahren der Sex war. Er ist 66 Jahre alt, sie ist 60 geworden. Sie sagt: Er war steif wie ein Brett, und anschließend hat er immer gesagt, dass es wieder nichts gewesen ist. Er sagt: Wenn man die Sache richtig betrachtet, war es so doll auch nicht. Daraufhin tobt sie am Telefon. „Das empört sie natürlich da drüben in Amerika – als Sexgöttin“, sagt Rainer Langhans, Lockenkopf der Kommune, mittlerweile in Rente. Langhans amüsiert das.

Uschi Obermaier sieht das alles gerade nicht ganz so entspannt. In zwei Tagen wird ihr Leben auf den Leinwänden laufen. Sie haben fast ein Jahrzehnt an diesem Film gearbeitet, die Obermaier, die vielen Drehbuchautoren, der Regisseur, die Schauspieler. Sie hat viel mit entschieden, aber jetzt hat sie es nicht mehr in der Hand. Jetzt werden die Zuschauer entscheiden, wie sie ihr Leben sehen. Und wie wichtig sie immer noch ist, wird sich in Besucherzahlen messen lassen. Der Titel ist jetzt nur noch ein Vorschlag, eine Interpretationshilfe: „Das wilde Leben.“

Uschi Obermaier hofft natürlich, dass sie kein Flop wird.

An diesem sonnigen Vormittag sitzt sie auf einem Sofa in einem vornehmen Hotel in München. Sie ist sehr schwarz gekleidet. In ihren dunklen Haaren glänzen graue Strähnen. Auf dem Tisch liegt eine Lesebrille. Pressetermin. Uschi Obermaier erzählt ihr Leben. Immer wieder.

Sie erzählt an Männern entlang. Rainer Langhans, der Kommunarde, Mick Jagger, Keith Richards, ein bisschen Jimi Hendrix. Dann sehr lange Bockhorn, Vorname Dieter, Zusatz „Prinz von St. Pauli“. Nicht namentlich erwähnt: der heutige Liebhaber. Selten erwähnt: ihr Vater. Als junger Architekt einer mit vielen Frauen, über den sie früher in Münchens Boulevardzeitungen schrieben.

Sie hat sich im Laufe der Jahre für jeden Mann, für jede Phase, einige Sätze zurechtgelegt. Rainer Langhans: Unterschied zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Kannte sie nicht, haben die ihr schnell beigebracht. Mick Jagger: Studio in London, kommt auf sie zu, sieht sie an, sagt: „You are so beautiful.“ Obermaier dazu heute: „Da bin ich fast in die Knie gesunken.“

Heroin genommen, aber nie gedrückt. Wichtigste Droge: immer Sex. Entscheidungen: aus dem Bauch. Musiker geliebt für ihre Kreativität. Nicht abgehakt wie ein Groupie. Bockhorn, Dieter: hat ihr gezeigt, wie man ohne Vorurteile auf Menschen zugeht. Ein Macho, geschlagen hat er sie, aber gekocht hat er auch, Blumen gepflückt. Und Bockhorn mochte Spitzendeckchen.

Sie erzählt das alles viel, viel langsamer. Ihre Stimme ist tief, rauchig, als hätte sie zu lange gesungen oder zu viel gekifft. Ihr Dialekt ist ein amerikanisches Bayerisch. „Da bin ich fast in die Knees g’sunken“, so etwa. Sie sagt, dass sie froh ist, wenn das alles vorbei ist. Dann muss sie es nicht mehr erzählen. Dann kann man es ansehen.

Am Abend nach solchen Interviews geht sie zu Langhans und seinen Frauen. Sie schaut dort meistens vorbei, wenn sie in München ist. Manchmal fahren sie im Sommer noch raus und springen nackt in den See. Langhans ist jetzt Haremsguru. Die Frauen und er, sie „arbeiten“, reden, analysieren sich. Leidenschaftlich selbstinteressiert, ein bisschen wie in der Kommune, nur wohnen sie nicht zusammen. Sie würden auch gerne die Uschi für sich selbst interessieren. Aber Uschi möchte nicht. Sie machen aber Interviews mit ihr, die sie mit einer Kamera aufzeichnen.

Vielleicht „arbeitet“ sie nicht mit, weil sie Angst hat, dass sie zu viel aus ihr herausziehen könnten, was sich nicht einfach in Phrasen fassen ließe. Eine Vaterfigur etwa, die sie ihr Leben lang in möglichst wilden Männern gesucht hat. Der sie gefallen wollte. An der sie sich aber auch gerächt hat, indem sie für keinen vollkommen da war, keinen liebte, wegen dieser Furcht, dass er verschwindet – wie früher der Vater. Sie ließ sich nicht knacken, die Sau, würde Bockhorn sagen.

Uschi Obermaier mag die Filmwahrheit: die Frau, die sich vom Leben nimmt, was sie möchte. Dreht Filme, ist aber keine Schauspielerin. Erscheint in Magazinen, ist aber kein Model. Hat was mit Musikern, ist aber kein Groupie. Die Unvereinbare, Unvereinnehmbare. Das knallharte Naivchen. Sie kämpft für ihr Selbstbild, sie hat sich dafür jahrelang mit Drehbuchautoren herumgeschlagen und zuletzt mit dem Regisseur. Am Ende hatten doch andere das letzte Wort, „Das wilde Leben“ ist jetzt ab zwölf freigegeben. Ihr Film wäre nicht jugendfrei.

Rainer Langhans kämpft für sein Bild der Kommune. Der Kampf ging wahrscheinlich schon vor ein paar Jahren verloren, mit den Filmrechten. „Unser Verhältnis ist ziemlich kaputt gegangen über diese Geschichte“, erzählt er. Es gab zwei Projekte. Den Langhans-Film bei der Produktionsfirma Senator. Den Obermaier-Film bei Neue Bioskop. Sie hatten sich versprochen, dass jeder dem anderen die eigenen Filmrechte abtritt. Langhans hat seine für 15.000 Euro verkauft. Nun waren die Bioskop-Produzenten aber der Meinung, der Markt vertrage keine zwei Filme. Also hat Obermaier ihre Rechte behalten.

Langhans hat dann einen Drehbuch-Vorschlag geschrieben. Der Plot geht ungefähr so: Das ungezügelte Unterschicht-Mädchen Uschi trifft in Kommune auf intellektuellen Rainer. Der bringt ihr bei, dass Eifersucht scheiße ist („kein Besitz“) und dass Lust etwas anderes bedeutet als: Der Mann kommt. Der Drehbuchautor sagt, dass Rainer Langhans sich vielleicht ein bisschen zu sehr aus der heutigen Perspektive betrachtet – als Guru.

Es ist deshalb von diesem Drehbuch nicht viel geblieben, außer der Bezeichnung „Untermaier“, so hat Kommune-Vorsteher Kunzelmann die Obermaier genannt. Oder „Obereimer“. Rainer Langhans sorgt sich nun, dass er als verklemmter Polittrottel rüberkommt, der die Ikone auf dem Weg in die weite Welt mit seinen Parolen nur aufhält. Nicht als der Erste, der erkennt, wie sie mit ihrer sexuellen Freizügigkeit die Männer von deren Kopflast befreit.

Langhans wurde damals ihr Manager. Er hat richtig Geld verlangt für die Fotos und Geschichten, mit denen er diese Idee vom „neuen Menschen“ vermitteln wollte, von der neuen Beziehung, vom neuen Leben.

Sie kam auf die Titel. Twen. Stern. Vogue. „Keith Richards hat mich tatsächlich über Magazine, also, äh, ausgesucht“, sagt sie. Auf einem Stern-Titel war vorne Obermaier zu sehen, die Arme vor der Brust, im Hintergrund Langhans. So kam es, dass ein Paar, das die Zweierbeziehung auflösen wollte, ein Leben lang ein Paar blieb. Im öffentlichen Gedächtnis.

Vieles, was sie damals vorgelebt haben, sagt Olaf Krämer, der Drehbuchautor, leben spätere Generationen jetzt nach. Nur ist niemand von denen auf die Idee gekommen, ihnen dafür ein Denkmal zu bauen. „Es wollte sie plötzlich keiner mehr haben“, sagt Krämer. „Sie haben sich unheimlich weit rausgewagt, und dann sind sie unten aufgeklatscht.“

Als es mit Langhans vorbei war, schlief Obermaier mit einem jungen Dealer, bis der verknackt wurde. Dann zog sie zu Bockhorn nach Hamburg, zu diesem Verrückten, Kreativen, der mit seiner unglaublichen Energie den Kiez aufmischte. Feiern in seinem Café Adler, jahrelange Weltreise im Mercedes-Wohnbus, prunkvolle Hochzeit in Indien. Heroin, Haschisch, LSD, Opium. Sex miteinander, mit anderen. Am Neujahrstag 1984 zerschellte Bockhorns Kinn in Mexiko am Führerhaus eines entgegenkommenden Lasters. Er war mit dem Motorrad unterwegs gewesen, sturzbetrunken. Ihr Mann war tot und hinterließ ihr nichts.

Sie kroch bei Freunden unter und erholte sich. Sie lernte, wie man Schmuck macht. Gelegentlich ließ sie sich noch fotografieren. Sie besaß fortan immer einen belgischen Schäferhund, schwarz. Sie war mit einem viel jüngeren Art Director zusammen, der in all ihren Interviews nicht auftaucht. Er hat sich von ihr getrennt. „Es war das erste Mal“, sagt eine Freundin, „dass ich sie richtig verzweifelt gesehen habe.“

Sie ist heute mit jemandem zusammen, der offensichtlich nicht möchte, dass das bekannt wird. Vielleicht ist er verheiratet, vielleicht will sie diese Zweierbeziehung nicht sprengen. Die Obermaier-Bilder von damals hängen als Poster an WG-Türen, die Kommunarden der Neuzeit bewundern ihre Brüste. Wenn Langhans heute das Kommunen-Erbe in Talkshows verwaltet, dann lächeln die anderen Gäste über diesen Drüberreder. Rainer Langhans sagt trotzdem: „Wir haben gewonnen.“ Wir, Kommune, 68.

Die Frau, die heute Rainer Langhans’ Nachfolgerin ist, war einmal Fotochefin des Playboy. Saskia Middelburg hat Uschi Obermaier kennengelernt, als sie sich für den Playboy auszog – mit 49. Danach wurde Middelburg ihre Agentin. Sie verhandelt jetzt die Gagen, wenn Magazine Geschichten machen wollen. Home-Stories aus der Villa bei Los Angeles. Der neue Film steigert Obermaiers Bekanntheitsgrad, „was für uns noch interessanter wird, gerade für die Vermarktung im Werbebereich“, sagt Middelburg. Kosmetika, Mode, Schokolade. Bisher wollte Obermaier das nicht. Rainer Langhans sagt, dass sie damals mit dem Lifestyle-Geschäft eine Utopie transportieren wollten. Nun sei die Utopie weg und nur das Lifestyle-Geschäft übrig. Mit 60 hat sich Uschi Obermaier nun noch einmal für Fotos im Stern ausgezogen.

In jenem Hotelzimmer in München sitzt neben Uschi Obermaier auch eine schöne junge Frau, mit einem Playboy-Häschen auf dem T-Shirt. Der Häschenkopf sieht aus wie ein Totenschädel. Die Frau heißt Natalia Avelon, im Film spielt sie Uschi Obermaier.

Könnte man heute noch so bekannt werden wie Obermaier, mit einem Schlag? Was müsste man tun? Avelon überlegt. „Wenn man die Musiker oder Schauspieler anschaut, dann geht das heute nur durch ganz viel Talent. Oder durch eine besondere Erfindung vielleicht. Ein Medikament gegen Krebs oder Aids.“

„Alle Tabus sind schon gebrochen“, sagt Uschi Obermaier, „da gibt’s nichts mehr.“