SPD sucht korrekte Migranten

Zuwanderung aus dem In- und Ausland soll die demografischen Probleme Berlins lösen, sagt die SPD. Deren Fraktionschef drischt aber erst mal auf Migranten ein. Und erntet Kritik aus den eigenen Reihen

von RICHARD ROTHER
und ALKE WIERTH

Berlin soll zunehmende Bevölkerungsverluste durch verstärkte Zuwanderung aus dem In- und Ausland ausgleichen. Das sieht ein Strategiepapier zum demografischen Wandel vor, das die SPD-Abgeordnetenhausfraktion auf ihrer Klausurtagung in Rostock gestern beschloss. Auch sollen die Integrationsbemühungen für Jugendliche mit Migrationshintergrund verstärkt werden. Auf Unverständnis in Fraktion und Koalition stieß allerdings SPD-Fraktionschef Michael Müller mit seinem Vorschlag, finanzielle Hilfen für Eltern, die ihren Erziehungsauftrag nicht erfüllten, zu überdenken.

Der Auslöser für Müllers Forderung war ein Vorfall an einer Lichtenrader Schule, bei dem jugendliche Migranten einen Polizisten zusammenschlugen und schwer verletzten. Die Äußerung Müllers sei nicht „expressis verbis als Forderung zu verstehen“, erläuterte gestern Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Sie solle vielmehr ein Denkanstoß sein, die Eltern mehr in die Pflicht zu nehmen. Auf der Klausur sei dies aber kein Thema gewesen.

Ohnehin ist es juristisch kaum möglich, staatliche Transferzahlungen von individuellem Wohlverhalten abhängig zu machen. Entsprechend reagierten gestern denn auch SPD-Abgeordnete mit Migrationshintergrund mit Unverständnis. Sozialpolitikerin Ülker Radziwill: „Dass man Eltern in die Pflicht nimmt, finde ich okay.“ Sanktionen, vor allem finanzielle, seien aber nicht der richtige Weg. „Da sind am Ende immer die Kinder die Leidtragenden.“ Auch der Spandauer SPD-Abgeordnete Raed Saleh hält von Sanktionen nichts. Die Frauenpolitikerin und Rechtsanwältin Canan Bayram wurde noch deutlicher: „Forderungen wie Kürzungen von Kindergeld verstoßen gegen die Verfassung und sind völlig daneben.“

Die Fraktionschefin der Linkspartei.PDS, Carola Bluhm, lehnte finanzielle Sanktionen gegen Eltern ab. Kürzungen von Arbeitslosen- oder Kindergeld seien „nicht der richtige Ansatz“ zur Lösung des Problems. In den Koalitionsverhandlungen sei zudem etwas anderes ausgehandelt worden.

Für Diskussionsstoff auf der SPD-Fraktionsklausur sorgte auch die demografiepolitische Strategie, bei der vor allem Bildungspolitiker eine Stärkung des lebenslangen Lernens forderten. Um den demografischen Wandel zu gestalten, setzt die SPD auf das „wirtschaftliche Potenzial der Zuwanderer aus anderen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland“. Für Fachkräfte will die SPD-Fraktion eine gezielte Werbekampagne im In- und Ausland starten. Auch möchte die Fraktion die Rahmenbedingungen für Unternehmen von Zuwanderern verbessern.

Besondere Anstrengungen seien notwendig, um die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Nur 5 Prozent dieser Jugendlichen gelinge es, eine herkömmliche Ausbildung zu absolvieren. Immerhin wachse der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe an der Gesamtbevölkerung weiter.

Im Blick hat die SPD-Fraktion auch die Berlinerinnen, vor allem die hochqualifizierten. Frauen, insbesondere Mütter, müssten stärker als bisher die Möglichkeit erhalten, ihre häufig hohe Qualifikation in Vollarbeitsplätzen in den Unternehmen einzubringen. „Erwerbstätigkeit und Familiengründung müssen künftig für alle Berufe für Frauen und Männer vereinbar sein.“