Schlecker schlägt sich selbst

Vorm Landesarbeitsgericht Bremen stärkt Drogerie-Gigant mit eigenem Beweismittel Position seiner Prozess-Gegnerin: Filialleitung in Teilzeitarbeit möglich und Organisationsplan des Unternehmens laut Kammer „erstklassiger Beleg dafür“

von Benno Schirrmeister

Pssst! Nicht weitersagen! Schlecker ist gestern vorm Bremer Landesarbeitsgericht mit wehenden Fahnen untergegangen. Aber der Drogerie-Discounter wird schon dafür sorgen, dass das niemand an die große Glocke hängt. „Die Musik spielt doch nicht hier“, sagt Firmenanwalt Frank Hahn in einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung, und legt noch einmal nach, dass das Kündigungsschutzverfahren viel wichtiger sei.

Fristgemäß gekündigt hat Schlecker einer Bremer Filialleiterin – Antje Treptow. Die genießt jedoch als Vorsitzende des Wahlvorstandes für eine Betriebsratswahl besonderen Kündigungsschutz. Und außerdem kämpft sie um ihr Recht auf Teilzeitarbeit: Ihren Sieg in erster Instanz hat der Discounter angefochten. Von Hahn ist zu erfahren, dass er „jetzt sogar im Briefkopf“ einer größeren baden-württembergischen Kanzlei steht und einen Doktortitel führt. Jetzt sähe er gerne, bevor die Grundsatzentscheidung fällt, erst einmal die Frage der Weiterbeschäftigung von Frau Treptow geklärt. Die sei „vorgreiflich“, doziert der Schleckermann, darüber brauche man „nicht zu diskutieren“. Denn wer gegangen wird, ist stets vollzeitentlassen.

Allerdings wirkt Hahns breites Lächeln bemüht. Und als die Kammer, nach kurzer Beratung, durchblicken lässt: Sie wäre jetzt bereit für ihren Spruch, und nein, eine Aussetzung wegen des Kündigungsschutzverfahrens komme nicht in Frage, Herr Hahn, wirklich nicht – da tritt der Firmenanwalt erst mal ganz energisch auf die Bremse. Er bittet um Aufschub. Seinen Mandanten müsse er informieren. Eine Woche werde er dafür brauchen, behauptet er. Und „möglicherweise“ will man dann doch „die Berufung zurückziehen“.

Alles also offen? Aber nein. Dieses „Möglicherweise“ bedeutet nur einen kleinen Aufschub. Aber dass Schlecker zurückzieht, ist ziemlich klar: Über ein Urteil in zweiter Instanz würden die Agenturen berichten, die Publikumspresse und die Fach-Journale hätten es diskutiert. Für andere Verfahren wäre es eine Referenz geworden. „Davor“, vermutet Treptows Prozessvertreterin, die DGB-Anwältin Ria Sonntag, „hat Schlecker eine Heidenangst.“ Verständlich. Denn wie das Urteil aussehen würde, daran hatte die Kammer keinen Zweifel gelassen. „Dem Teilzeitwunsch“, so die Vorsitzende Sabine Kallmann, „ist nachzukommen“. Nun, das braucht man sich wirklich nicht noch einmal schriftlich geben zu lassen.

Strengstmögliche Form, verschwindende Inhalte: Die Schönheit von Arbeitsgerichtsprozessen ist mit der von Eisblumenmustern zu vergleichen. Die Schriftsätze sind ausgetauscht. Die öffentliche Verhandlung dient dazu, nachträgliche Anmerkungen und Erklärungen anzubringen. Als bekannt vorausgesetzt wird der Konflikt: Schlecker-Verkaufsstellenleiterin Treptow hat ein Kind bekommen, wollte ihren Stundenumfang reduzieren, verwies auf die Regelungen des Teilzeitbeschäftigungsgesetzes, und wohl auch auf die Tatsache, dass rund 80 Prozent der MitarbeiterInnen beim Drogerie-Giganten nur halbe Stellen haben. Die Unternehmensleitung sagte: Kommt nicht in Frage.

Treptow klagte, bekam Recht. In der Berufungsverhandlung sitzen die Parteien nebeneinander, ihnen gegenüber, erhöht, hinter einem Pult, zwei ehrenamtliche und die vorsitzende Richterin. Die spricht ins Diktaphon, dass auch dieser Widerspruch und jene Ergänzung vorgetragen worden sei.

Das Aufflammen einer Diskussion lässt da schon besonders aufmerken. Und genau das geschieht, jawoll. Nämlich als ein Schlecker-Beweismittel – ist’s Blatt 150 der Akte? – zur Sprache kommt: Ein Organisationskonzept, das Aufgabenprofil und umfang der Verkaufsstellenleitung klärt. „Unschlüssig“ sei das, eröffnet Gewerkschafts-Anwältin Sonntag den Schlagabtausch, und „rechtlich nicht stichhaltig“, aber das muss sie sagen. Das ist ja ihr Job.

Doch auch Gerichtspräsidentin Sabine Kallmann weist auf Klärungsbedarf hin. Wie denn das zusammengehen könne, die der Stelle zugeschriebene alleinige Schlüsselgewalt fürs Geschäft bei 66 Stunden Wochenöffnungszeit? Hahn: „Die Verkaufsleitung muss nicht die gesamte Öffnungszeit abdecken.“ Wie das, wenn sie morgens auf- und am Abend abschließt? „Man kann ja auch Pausen machen.“ Nanu? Dann zeige das Konzept aber doch, „dass sich diese Aufgabe auf zwei Teilzeitkräfte verteilen lässt“,wundert sich Kallmann. Ja es sei „sogar ein erstklassiger Beleg dafür“.

Frau Sonntag scheint sehr guter Laune, aber gelacht hat sie nicht. Später wird sie sagen, das Verfahren sei doch „ganz prima gelaufen“. Hahn hingegen fährt sich durchs frisch gegelte Haar. Schwant ihm Böses? Möglicherweise. Schließlich wollte er mit dem Papier doch das Gegenteil beweisen. Wäre ihm das gelungen – und nur dann – hätte der „weltgrößte Drogeriemarkt“ sich übers Teilzeit-Recht hinwegsetzen dürfen.

Niemand sollte gezwungen werden, sehenden Auges in eine Niederlage zu rennen. Noch dazu nicht – in eine peinliche. Und das gilt sogar für Schlecker. Und wenn das Urteil nicht gesprochen wird, kann auch niemand davon erfahren.