Schaut auf diese ideale Stadt

Hamburg wird die erste Stadt weltweit sein, die als 3D-Modell bei Google Earth zu sehen ist. Und da im Internet vieles möglich ist, sieht die Stadt hier nun endlich so aus, wie sich das die Verantwortlichen wünschen: sauber, exklusiv und ohne Gebrauchsspuren. Was fehlt, ist das Leben

Ohne die Gebrauchsspuren des Großstadtlebens wirkt das virtuelle Hamburg bei aller Liebe zum Detail befremdlich kühl

Von Ilka Kreutzträger

Die Sonne scheint, die Bürgersteige am Jungfernstieg sind nicht mit grauen Kaugummiresten verklebt, die Reeperbahn ist gefegt, in der Mönckebergstraße gibt es kein Gedrängel. Wer in den nächsten Tagen das fotorealistische 3D-Modell Hamburgs bei Google Earth besucht, der kann einen Blick in die saubere und glitzernde Zukunft werfen.

Der virtuelle Rundflug über Rathaus und Landungsbrücken kommt dem Original auf den ersten Blick recht nah. Fenster, Türen, Erker, Balkone mit geschwungenen Gittern und begrünte Dachterrassen sind detailgetreu nachempfunden und von allen Seiten und aus verschiedenen Höhen zu umfliegen. Nicht mal die abgetretenen Rasenflächen zwischen den Häuserreihen rund um den Michel fehlen. Aber die Straßen und Plätze wirken seltsam steril. Trotz des immensen Aufwands, den die auf virtuelle Stadtmodelle spezialisierte Schweizer Firma Cybercity im Auftrag der Stadt betrieben hat. Aus einem Flugzeug schossen sie aus etwa 500 Meter Höhe ungefähr 1.000 Schrägaufnahmen von der Innenstadt und bastelten daraus das 3D-Modell.

Was aber fehlt ist das Leben in der Stadt. Abgesehen davon, dass keine Passanten um die Binnenalster schlendern oder in die Schaufenster der Geschäfte schauen, was in einem 3D-Modell sicher zu verschmerzen ist, gibt es nirgendwo auch nur eine Andeutung von abgestoßenen Bürgersteigen, ausgelatschten Treppenstufen oder defekten Ampeln. Ohne diese Gebrauchsspuren des Großstadtlebens wirkt das virtuelle Hamburg bei aller Liebe zum Detail befremdlich kühl und funktional. In diesem Licht aber wird die Stadt den künftigen Hamburg-Besuchern präsentiert. Geschuldet ist das den Initiatoren des Projektes. Die Hamburger Initiative für Medien, IT und Telekommunikation Hamburg@work, ein von der Stadt und von ansässigen Unternehmen getragener Verein, will mit dem dreidimensionalen Hamburg Orientierungshilfe für Touristen und gleichzeitig Visitenkarte für Hamburger Unternehmen sein: Schaut her, so schön und sauber ist unsere Stadt.

Initiator des 3D-Projektes Jens Uwe Neumann, Chef von Hamburg@work, gerät ins Schwärmen, wenn er von den Möglichkeiten des dreidimensionalen Hamburgs spricht. Geschäfte solle es geben, die man betreten und in denen sich der virtuelle Hamburg-Besucher umsehen und am besten auch gleich einkaufen könne. Stadtplaner und Architekten könnten ihre Projekte im virtuellen Hamburg zeigen, bevor sie fertig gestellt sind und die potenziellen Käufer durch die Zimmer ihrer künftigen Wohnung führen. Zunächst wird allerdings nur Hamburgs Innenstadt als 3D-Version zu sehen sein. Langfristig soll dann ganz Hamburg virtuell neu entstehen. Und zwar mit Hilfe der Hamburger selbst. Möglich wird das mit der „Sketchup“-Software von Google, mit der jeder sein eigenes Haus in 3D nachbauen und in die virtuelle Hamburg-Welt einbauen kann. Es braucht nur ein paar Fotos und ein bisschen technische Finesse und dann soll es auch für den Laien kein Problem sein. Vorgaben gibt es keine. So wie die Stadt dem Internetnutzer mit der Hafencity einen vollständig neuen Stadtteil präsentiert und sich die Stadt der Zukunft ausmalt, kann es jeder mit seinem eigenen Haus und seinem eigenen Stadtteil nachmachen.

Mit der Realität wird dieses virtuelle Hamburg aber nichts gemein haben. Die Hamburger könnten ihre Stadt vielmehr neu erfinden und aus dem ehrgeizigen Unterfangen ein Kunstprojekt entstehen lassen. Stadtplanung für alle gewissermaßen. Spannend zu sehen, wie sich die Vorstellungen von der idealen Stadt der Initiatoren des Projekts und den Hamburgern unterscheiden. Ob da dann auch eine Brücke mit sechstöckigen Wohnhäusern den Hafen überspannen würde, wie die Stadt sich das erträumt? Wenn alles gut läuft, könnte ein „was wäre wenn“ entstehen, eine Mischung aus real existierenden Gebäuden, Straßen und Plätzen und Zukunftsplänkelei.

Bedroht werden könnte diese Idee allerdings von den Hamburgern selbst. Angenommen, jemand spannt ein überdimensionales Werbebanner mit dem Namen seiner eigenen Firma auf sein Hausdach, fotografiert es und baut es in den virtuellen Stadtplan ein. Dann wäre der Spaß sicher schnell vorbei. Denn kommerziell soll die virtuelle Hamburg-Welt höchstens von der Stadt oder von Google genutzt werden. Google stellt zwar seine Software kostenfrei zur Verfügung, doch über die Maßen erfolgreich geworden ist das Unternehmen bekanntlich nicht ob seines Gutmenschentums.

Die entscheidende Frage wird aber letztlich eine andere sein. Was passiert, wenn jemand eine der Ecken wirklichkeitsgetreu ins Internet stellt, vor denen die Stadt gern die Augen verschließt. Was, wenn jemand die Drogenszene hinter dem Hauptbahnhof in all ihrem Elend nachbaut oder Obdachlose in notdürftigen Behausungen aus Pappe und Plane in die virtuelle Innenstadt montiert? Bestimmt nicht das, was sich Stefan Keuchel, der Sprecher von Google-Deutschland vorstellt, wenn er vom „ultimativen virtuellen Globus“ spricht, den der Suchmaschinengigant schaffen will. Und bestimmt auch nicht das, was sich der Senat wünscht, wenn von Visitenkarte und Standortvorteilen die Rede ist. Ob gegen Abweichung von der sauberen virtuellen 3D-Welt etwas unternommen werden wird, weiß Neumann nicht. Kontrollmechanismen gäbe es derzeit seines Wissens keine. Aber jemand sollte ein Auge drauf haben und alles, was geschmacklos ist und nicht ins Bild passt, wieder entfernen. So ganz ernst gemeint war es dann doch nicht, dass jeder an der virtuellen Stadt mitarbeiten soll. Nur, wenn es auch ins Ideal passt.

http://earth.google.com/