Neue Anklage gegen Chodorkowski. Auch das Urteil steht schon fest
: Im Reich der Willkür

Die neue Anklage gegen den inhaftierten ehemaligen Yukos-Chef, Michail Chodorkowski, und dessen Geschäftspartner Platon Lebedew kommt nicht unerwartet. Seit Monaten zeichnete sich ab, dass dem Kreml an einer Fortsetzung des Scheinprozesses gegen den einstigen Oligarchen gelegen ist. Die Angeklagten könnten – sollte sich die gesellschaftliche Atmosphäre ändern und sich die Lagerinsassen gut führen – nach einigen Jahren in die Freiheit entlassen werden: Dies lässt Kreml und Staatsanwaltschaft nicht zur Ruhe kommen.

Sie fürchten, auch ihnen könnte eines Tages genommen werden, was sie an Raubgütern geraubt haben. Denn das Wesen der „Diktatur des Gesetzes“, das Putin einst ausrief, liegt darin, dass recht hat, wer ein Amt hat – und wer ein Amt hat, genießt freien Zugriff auf die Reichtümer des Landes. Kurzfristig hat sich dies in Russland immer mal wieder geändert. Dem soll vorgebeugt werden, denn die Machthaber sind sich ihrer nicht so sicher.

Der Ausgang des Verfahrens gegen Chodorkowski steht schon fest: schuldig im Sinne der Anklage. Auch die Beschuldigten geben sich keinen Illusionen hin. Unter dem Juristen Wladimir Putin ist Moskau dahin zurückgekehrt, von wo es vor 20 Jahren aufgebrochen ist: ins Reich der Willkür.

Der Graben, der es vom übrigen Europa trennt, ist breiter denn je. Russische Richter sind nicht nur abhängig vom politischen Willen der Machthaber. Vielmehr verstehen sie sich als Stimme und Verstärker der Staatsanwaltschaft. Ganz anders als in der europäischen Tradition.

Wer in die Fänge der russischen Strafverfolgungsbehörden gerät, hat daher ausgespielt – ob schuldig oder nicht, er wird gerichtet. Unter den jetzigen Machthabern ist die Freispruchquote auf weniger als ein Prozent gesunken. Aburteilen, Ausgrenzen und Vernichten lautet die Devise.

Man teile viele europäische Werte nicht und werde sie in Russland nicht umsetzen, ließen sich dieser Tage einige Mächtige vernehmen. Endlich mal ein klares Wort – ohne Heuchelei. Offensichtlich sind Russland und Europa nicht kompatibel.

KLAUS-HELGE DONATH