Die Spur führt in die Berliner Hochhäuser

Um den siebenfachen Mord in einem Chinarestaurant im niedersächsischen Sittensen aufzuklären, sucht die Polizei nach Parallelen zu 90er-Jahre-Morden in der Hauptstadt. Zwei verdächtige Vietnamesen wurden festgenommen und sitzen in Haft

VON MARINA MAI

Es ist eine normale Verkehrskontrolle an der Autobahnabfahrt Wildeshausen bei Oldenburg. Die zwei Polizisten überprüfen ein Auto mit zwei 31 und 29 Jahre alten Vietnamesen. Einer von ihnen kann sich nicht ausweisen. Die Beamten durchsuchen deshalb das Fahrzeug und finden den Lageplan eines Asia-Restaurants. Es ist das im niedersächsischen Sittensen, wo in der Nacht zum Montag sieben Menschen ermordet worden sind.

Die beiden Männer sitzen nun in Untersuchungshaft. Doch obwohl die Polizei zwei Verdächtige gefunden hat, sind die Morde noch lange nicht aufgeklärt. Der Anwalt eines der Vietnamesen hat Haftbeschwerde beantragt, sein Mandant wisse „gar nicht, warum er verhaftet wurde“. Die Ermittler suchen zudem noch immer nach einem Motiv.

Fest steht: In dem Lokal in Sittensen wurden sechs tote Asiaten und ein Schwerverletzter gefunden, der wenig später seinen Schussverletzungen erlag. Manche der Opfer waren gefesselt und mit Kopfschüssen geradezu hingerichtet worden.

Zwei Tote wurden inzwischen als das Ehepaar identifiziert, dem das Gasthaus gehörte. Die Hongkong-Briten galten im Ort als sehr beliebt. Zudem wurden ein 31-jähriger thailändischer Koch und eine 36-jährige malaysische Kellnerin umgebracht. Der Ehemann der Malaysierin hatte die Leichen entdeckt, als er seine Frau von der Arbeit abholen wollte.

Überlebt hat das Verbrechen die zweijährige Tochter der Betreiber, die gesund und in Sicherheit sein soll. Die drei anderen Toten sind nach Polizeiangaben ein 57 Jahre alter Koch aus Hongkong, eine weitere Kellnerin von 38 Jahren und ein 32-jähriger Küchenhelfer aus Vietnam. Die Identifizierung hatte mehrere Tage gedauert, weil einige der Opfer keine Ausweise bei sich hatten.

Gab es zu Anfang der Ermittlungen noch Spekulationen, dass die chinesischen Triaden etwas mit der Tat zu tun haben könnten, glaubt die Polizei jetzt eher an einen Zusammenhang mit der vietnamesischen Mafia. Der Gedanke drängt sich nicht nur wegen der Nationalität der Tatverdächtigen auf. Polizeisprecher Christoph Steinke erklärte, die Sonderkommission habe ein Amtshilfeersuchen an Berlin gestellt. Konkrete Hinweise gebe es zwar nicht, aber man will „Dinge, die in Berlin passiert sind, durchleuchten“. Gemeint ist die Mordserie im Milieu der Zigarettenmafia Mitte der 90er-Jahre.

Und tatsächlich ähnelt der Mord einem Sechsfachmord vom Mai 1996 in einem Hochhaus im Berliner Stadtteil Marzahn. Damals kämpften vietnamesische Banden mit besonders brutalen Methoden um die Vorherrschaft im illegalen Zigarettenhandel. Im Mai 1996 fanden Polizisten sechs gefesselte und mit Kopfschüssen hingerichtete Opfer in einer Wohnung. Der Mord ist aufgeklärt. Verurteilt wurden Mitglieder der Zigarettenmafiabande Ngoc Thien. Nach der Auffassung des Gerichtes sollen die Mörder die Führungsmitglieder einer konkurrierenden Bande nach dem Aufenthaltsort ihres Chefs gefragt haben. Niemand antwortete, daher wurden alle erschossen.

Dass diese Morde aufgeklärt wurden, verdanken die Ermittler lediglich einer Kronzeugin. Die Vietnamesin hatte den Männern den Haushalt führen müssen. Ihr gegenüber hatten sie sich der Morde gerühmt und Details preisgegeben, die das Gericht für glaubwürdig hielt. Die Haupttäter sitzen noch in Haft, während einige minder Beschuldigte wieder auf freiem Fuß sind.

Die Berliner Polizei hatte das Amtshilfeersuchen aus Niedersachsen erwartet. „Mich würde es wundern, wenn es da keine Bezüge nach Berlin gäbe“, sagt ein Polizeiexperte, der nicht genannt werden will. Seit Jahren hat die vietnamesische Mafia zwar keinen Mord mehr begangen, aber sie ist äußerst aktiv, nicht nur im Zigarettenschmuggel. Die Polizei in Berlin ermittelt auch wegen Hehlerei, Schutzgelderpressung, Drogendelikten und Menschenhandel.

Opfer von Morden der vietnamesischen Mafia waren allerdings bisher immer Vietnamesen und nicht andere Asiaten. „Aber die Communitys haben sich in letzter Zeit sehr vermischt“, meint der Experte. Und Berliner Vietnamesen erzählen, dass sich einige „Mafiosi“ in letzter Zeit in die alten Bundesländer abgesetzt hätten. Offenbar wegen des Ermittlungsdrucks, den die Polizei in Berlin ausübt.