Die Ware Wahrheit

Eine bittersüße Farce: In „Interview“ (Panorama) liefern sich Steve Buscemi und Sienna Miller ein enorm unterhaltsames Nonstop-Wortgefecht

Was passiert, wenn ein zynischer Politjournalist, der nicht das Geringste für Popkultur übrig hat, von seinem Chefredakteur genötigt wird, eine zweitklassige Soapschauspielerin zu interviewen? Dieser Frage geht Steve Buscemi – der schon seit 15 Jahren immer wieder auch Regie führt – in „Interview“, dem Remake eines Theo-van-Gogh-Films aus dem Jahr 2003, nach. Wie der vor zwei Jahren ermordete niederländische Regisseur hat Buscemi das Ganze als Kammerstück inszeniert: In einem Luxusloft liefern sich Pierre Peders (Buscemi) und das Starlet Katya (Sienna Miller) ein 83-minütiges Nonstop-Wortgefecht, in dessen Verlauf sie sich in einem permanenten Zustand gegenseitiger Anziehung und Abstoßung befinden.

Von den Figurennamen über die Dialoge bis hin zu einzelnen Kameraeinstellungen hat sich Buscemi akribisch an van Goghs Vorlage gehalten. Nur an zwei Stellen hat er in die Dramaturgie eingegriffen, dort allerdings gleich so massiv, dass der Tonfall der beiden Versionen letztendlich grundverschieden ist: Während van Goghs Film als Tragödie endet, bleibt Buscemis Variante bis zum Schluss eine bittersüße Farce.

Seine enorme Spannung bezieht „Interview“ dabei aus den Friktionen, die sich aus dem Zusammenstoß der beiden gewaltigen Egos ergeben. Großartig etwa ist die Szene, als Pierre freimütig bekennt, noch nie einen von Katyas Filmen gesehen zu haben, nur um sie anschließend zu fragen, warum sie überhaupt „in solch einem Mist“ mitspiele. Nach einer Weile dreht Katya den Spieß um und interviewt Pierre. Da sich die beiden während ihres Frage-und-Antwort-Marathons auch noch gegenseitig filmen, erinnert das an Steven Soderberghs „Sex, Lies and Videotape“. Mit dem einen Unterschied, dass hier keine Amateure am Werk sind, sondern Medienprofis. So perfekt beherrschen sie das Spiel mit dem Verkauf der Ware Wahrheit, dass sie den Punkt, an dem sie die Aussichtslosigkeit ihres Handelns erkennen könnten, einfach nicht erreichen.

Auf einer abstrakteren Ebene geht es in „Interview“ um die Frage nach der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum: Wo endet der eine, wo beginnt der andere? Denn selbst die raren Momente, in denen sich Pierre und Katya scheinbar ohne Hintergedanken füreinander interessieren, sind so inszeniert, dass sich der Betrachter wie ein Voyeur fühlt. Zu nah klebt die Kamera an den Figuren, zu melodramatisch sind deren Offenbarungen. Man sucht ständig nach Anhaltspunkten, wer gerade wen hinters Licht führen könnte, und wird dabei beinahe genauso paranoid wie die beiden. Das macht aber nichts, denn „Interview“ zeigt einmal mehr, dass eine gute Lüge sehr viel interessanter sein kann als die bisweilen doch ziemlich triviale Wahrheit. ANDREAS RESCH

„Interview“. Regie: Steve Buscemi. USA/Niederlande 2007, 83 Min. 13. 2., 20 Uhr, Cinemaxx; 14. 2., 22.45 Uhr, Cinestar; 15. 2., 17 Uhr, Cubix