Mein Vater und die Handgranate

„Village People Radio Show“ (Forum) von Amir Muhammad ist ein fluides Zwischending aus Doku und Essayfilm

Mit seinem im letzten Jahr im Forum gezeigten Film „The Last Communist“ hat der malaysische Regisseur Amir Muhammad eine Erkundung der Vergangenheit seines Landes begonnen. Er erzählte die Geschichte des heute im Exil lebenden Kommunistenführers Chin Peng, ohne dass dieser im Film auftauchte, und verknüpfte diese Erzählung auf etwas exzentrische Weise mit Impressionen aus der Gegenwart Malaysias. „Village People Radio Show“ ist eine Fortsetzung dieses Projekts.

Muhammad hat sich in ein Dorf in Thailand begeben, wo heute einstige kommunistische Aktivisten im Exil leben. Darunter ist ein freundlicher 86-jähriger Herr, in dessen Erzählungen sich die kleine, nämlich seine, und die große Geschichte Malaysias verbinden. Er und eine Hand voll andere haben dem Zuschauer so „oral history“ eher klassischer Manier zu bieten.

Das ist jedoch für den mit allen Wassern der Skepsis gewaschenen Amir Muhammad nicht genug. So kontrapunktiert er die Aussagen und Berichte der Figuren. Es gibt Impressionen aus dem thailändischen Dorf, in dem die Kommunisten jetzt leben. Straßenszenen, Hühner, Dorfbewohner beim Aerobic. Am Anfang und am Ende sind diese Bilder mit süßlichem Thai-Pop unterlegt, auch das gehört dazu. In „The Last Communist“ gab es bizarr-bunte Musical-Einlagen. An deren Stelle findet sich in „Village People Radio Show“ eine Hörspielversion einer Thai-Fassung von Shakespeares „Wintermärchen“, die manchmal als Soundtrack bzw. Voiceover zu den Bildern des Dorfs hinzugeblendet wird.

Klug und schelmisch zugleich ist Muhammads Art, wie er das Material gegeneinander in Stellung bringt, zugleich aber auch interagieren lässt. Auf ganz unangestrengte Weise sind seine Filme ein fluides Zwischending aus Dokumentation und Essayfilm. In „Village People Radio Show“ kommt eine weitere Ebene, eine weitere Bild-Ton-Materialsorte hinzu. Periodisch kehren fast abstrakte Schwenk- und Reißsequenzen wieder, unterlegt mit kakophonischen Geräuschkulissen. Diese fungieren als Zäsur, als Hinweis auch auf die Gewalt, die in den eher gelassenen Erinnerungen der Exilierten nur gelegentlich explizit erwähnt wird. Lächelnd erzählt einer etwa, wie sein Vater sich mit einer Handgranate selbst in die Luft jagte. Ein anderer hat keine Hände mehr, mit keinem Wort erwähnt er – während er virtuos seine Unterarmstummel bei der Speisezubereitung einsetzt – wie es dazu kam.

Muhammad hat ein sehr feines Sensorium für die Inkongruenz von thailändischer Dorfidylle und malaysischer Unterdrückungsgeschichte (von der man nur in Ausschnitten erfährt) – und findet in den Unterbrechungen einen formalen Ausdruck für das problematische Verhältnis von beidem.

EKKEHARD KNÖRER

„Village People Radio Show“. Regie: Amir Muhammad. Malaysia 2007, 72 Min.; heute, 20.15 Uhr, Cinestar; 13. 2., 15 Uhr, Cubix; 14. 2., 12.30 Uhr, Arsenal