Studenten werden zu Bauherrn

Wickelräume, Klimaanlagen oder die Renovierung von Seminargebäuden: Eigentlich sollten die Studiengebühren in Niedersachsen ausschließlich der Verbesserung der Hochschullehre zugute kommen. Jetzt wird in Beton investiert

VON KAI SCHÖNEBERG

Drei Millionen Euro für die Renovierung eines Uni-Gebäudes, eine Million für die Sanierung von drei Hörsälen, ein neuer Seminarraum für 400.000, 700.000 für den Umbau der Bibliothek der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Die Liste der Projekte, die die Universität Göttingen mit den Studiengebühren finanzieren will, ist lang. Ob die Investitionen in Beton den Buchstaben des Gesetzes entspricht, ist höchst fraglich. Früher kamen Bund und Länder für die Finanzierung von Hochschulbauten auf, seit der Föderalismusreform sind nur noch die Länder zuständig. Da sie klamm sind, werden die Studenten nun zu Bauherrn.

Die Gebühren sollen „Drittmittel für die Lehre“ sein, versprach Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (SPD), um den Studenten die umstrittene Universitäts-Maut, die ab dem Sommer erstmals für alle Semester erhoben wird, schmackhaft zu machen. Die Gebühren sollten zur „zweiten Säule der Hochschulfinanzierung“ werden, sagte Stratmann. Als Verwendungsbeispiele nennt der Minister „längere Öffnungszeiten für Bibliotheken, bessere Laborausstattung und mehr Tutorien“. So will es auch das Hochschulgesetz (siehe Kasten).

Statt Hilfen beim Pauken durch neue Bücher und Mentoren plant die Georg-August-Universität in Göttingen mit ihren in diesem Jahr erwarteten Einnahmen in Höhe von 14 Millionen Euro sogar, einen Wickelraum für 20.000 Euro herzurichten. Auch neue Fahrradständer für 25.000 Euro sollen her. An der Uni Hannover sollen mit den Studienbeiträgen Aufenthaltsräume für Naturwissenschaftler und neues Personal für das Immatrikulationsamt bezahlt werden. Insgesamt sind mindestens drei der 14,3 Millionen Euro, die die Uni 2007 durch die Studentensteuer eintreiben will, für Baumaßnahmen gedacht.

Das sei „mit dem Gesetzestext nicht zu vereinbaren“, ärgert sich Gabi Andretta, die Hochschul-Expertin der SPD-Fraktion. Sie sieht in den Investitionsplanungen der Unis eine „klare Zweckentfremdung der Mittel“. Schuld ist für Andretta Minister Stratmann, der den Unis des Landes jedes Jahr 50 Millionen Euro weniger überweist als noch zu SPD-Zeiten. Andretta: „Das ist Hochschulpolitik im Blindflug.“

„Ein gewisses Sträuben ist schon da“, sagt Christian Zigenhorn vom Göttinger AStA. Auch er weiß, dass die Gebühren eigentlich nicht für Baumaßnahmen gedacht sind. „Aber es macht keinen Sinn, Lehrveranstaltungen anzubieten, für die es gar keine Räume gibt“, betont Zigenhorn, der in einer paritätisch mit Studentenvertretern besetzten Kommission über die Verwendung der Mittel mitentschieden hat. „Dabei gab es bei der Investition in den Wickelraum das eindeutigste Votum.“

„Wir achten darauf, dass das Geld nicht in die Forschung fließt“, sagt Günter Scholz, der Vizepräsident der Universität Hannover, zur taz. Ohne die von Studiengebühren finanzierte eine Million Euro teure Klimaanlage für die Bibliothek auf dem „Conti-Campus“ würden „die Studenten ersticken“, sagt Scholz.

Die kreative Auslegung des Gesetzes erklärt der Vize-Präsident auch mit der „chronischen Unterfinanzierung“ der Hochschulen in Niedersachsen: „Das Land gibt uns seit Jahrzehnten jedes Jahr nur 3,5 Millionen Euro für Baumaßnahmen“, sagt Scholz. Allein an der Universität Hannover habe sich so bis heute „ein Rückstau in Höhe von 35 Millionen“ angesammelt. „Der Landesrechnungshof hat errechnet, dass in ganz Niedersachsen 800 Millionen Euro fehlen“, sagt der Vize-Präsident. Ohnehin ist die Verwendung der Studiengebühren derzeit umstritten: Die Geisteswissenschaftler, die knapp ein Drittel der 22.000 Studenten an der Leibniz-Universität stellen, sollen laut Beschluss des Präsidiums nur 16 Prozent der Mittel bekommen. Scholz sagt, das liege daran, dass Bücher für Historiker, Politologen oder Philosophen generell nicht so teuer seien wie neue Labore für die Maschinenbauer.

„Die Rechtslage ist eindeutig“, erklärt Stratmanns Sprecher Thomas Reiter: „Die Studiengebühren dürfen ausschließlich in die Verbesserung der Lehrbedingungen fließen.“ In die Autonomie der Hochschulen will das Ministerium nicht eingreifen, sagt Reiter. Allerdings habe Stratmanns Haus die Rechtsaufsicht über die Unis. Und: „Wenn es zu Grenzfällen kommt, werden wir das prüfen.“