Meditation statt Medikamente

Bachblüten wirken nicht, homöopathische Kügelchen sind fragwürdig – doch in Deutschland wächst eine „integrative Medizin“, die konventionelle und ergänzende Heilverfahren zu verbinden versucht. Vorbild sind neuere Konzepte aus den USA

Ob und wie der Arzt sich dem Patienten zuwendet, ist bei einer komplementärmedizinischen Behandlung entscheidend

VON BARBARA DRIBBUSCH

Erst kürzlich knallte es mal wieder: Die „Komplementärmedizin“ müsse in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden, forderte das „Bündnis Selbstbestimmung in der Medizin“, in dem Homöopathen und Naturheilkundler vertreten sind. Diese Forderung sei ein „frecher Versuch des Zugriffs auf den Geldbeutel der Kranken“, protestierte die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“. Die Alternativmediziner sollten „lieber ihre Hausaufgaben machen“ und den Wirksamkeitsnachweis ihrer Methoden liefern.

Der Streit ist leidenschaftlich und dreht sich nicht nur um die Frage, welche Verfahren von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden müssten. Auf der einen Seite stehen Alternativheilkundler, die auf Pflanzenmixturen und Yoga schwören, auf der anderen Seite spotten Schulmediziner über Homöopathie und Traditionelle Chinesische Medizin, deren Wirksamkeit kaum nachweisbar sei. Eine Schnittmenge aus beiden Lagern herzustellen versucht jetzt die „Integrative Medizin“, deren Vertreter sowohl die konventionellen Heilverfahren der Schulmedizin als auch ergänzende Ansätze einbeziehen.

„Der integrativ arbeitende Arzt bedient sich in sinnvollem Zusammenspiel verschiedener medizinischer Verfahren der konventionell bewährten Medizin, der angewandten Naturheilkunde und der Mind/Body-Medicine“, schreibt Gustav Dobos, Koautor des kürzlich erschienenen Buches: „Chronische Erkrankungen integrativ. Konventionelle und komplementäre Therapie“ (Urban & Fischer Verlag). In dem Werk referieren die Wissenschaftler nicht nur über die Wirksamkeit von Gingko, Johanniskraut und Blutegeln, sondern auch über einen ganzheitlichen Ansatz in der ärztlichen Behandlung, durch den Patienten lernen, ihren Lebensstress zu reduzieren, schädliche Denkmuster zu erkennen, ihre Ernährung zu verbessern und sich mehr zu bewegen. Besonders chronisch Kranken soll so geholfen werden.

Dobos betont, dass nur Arzneien und Verfahren angewandt werden, deren Wirksamkeiten bis zu einem bestimmten Level nachgewiesen ist. Dabei ist er in seiner Bewertung nicht so scharf wie die Stiftung Warentest, die in ihrer umstrittenen Metastudie „Die andere Medizin“ und dem „Handbuch Selbstmedikation“ zu dem Schluss kam, dass nicht nur Bachblüten und Wünschelrutengehen, sondern auch die Homöopathie, die Traditionelle Chinesische Medizin und viele Naturarzneien zur Behandlung von Krankheiten wenig oder nicht geeignet seien.

Die Stiftung Warentest beruft sich auf Studien nach den Richtlinien der sogenannten evidenzbasierten Medizin. Dabei werden in klinischen Studien an Testpersonen Medikamente und Scheinmedikamente – Placebos – verabreicht. Nur wenn die Patientengruppe mit den Wirkstoffen deutlich positivere Resultate zeigt als die Placebogruppe, gilt das Mittel als wirksam. Es sind vor allem diese Tests, wo homöopathische Substanzen, aber auch pflanzliche Mittel, wie etwa Echinacea gegen Erkältung, Traubensilberkerze gegen Wechseljahresbeschwerden oder Baldrian gegen Schlafstörungen, oftmals eine eindeutige Wirksamkeit vermissen ließen.

Auch Dobos bezieht sich auf placebokontrollierte Studien, daneben aber auch sehr stark auf praktische Erfahrungen mit Patientengruppen. Da ließe sich beispielsweise belegen, dass „die Homöopathie in der Praxis erwiesenermaßen wirksam“ sei und „die Gesundheit und Lebensqualität der Patienten sowohl bei chronischen als auch bei akuten Krankheiten verbessert“, erklärt der Mediziner.

Trotz der ernüchternden Ergebnisse der kontrollierten klinischen Studien geht es nämlich vielen Erkrankten im Behandlungsalltag bestens mit ihren Naturheilkundlern. Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité befragte fast 4.000 chronisch erkrankte Patienten mit Allergien, Kopfschmerzen und anderen Leiden, die homöopathisch behandelt wurden, sowie deren Ärzte. Die Befragten gaben im Schnitt an, dass sich die Stärke der Beschwerden nach drei Monaten halbiert hatte.

Ob und wie der Arzt sich dem Patienten und seiner Lebenssituation zuwendet, spielt bei einer komplementärmedizinischen Behandlung die entscheidende Rolle. Schon die Anamnesen sind umfangreicher als bei reinen Schulmedizinern, hinzu kommen stützende Glaubenssysteme. Dobos verweist außerdem auf die USA, wo „infolge der Ergebnisse der Stressforschung, der Forschung in der Psychoneuroimmunologie und der Mind/Body-Medicine“ umfassende verhaltensmedizinische Konzepte entwickelt wurden. Dabei lernen die Patienten, ihr seelisches und körperliches Immunsystem zu stärken, etwa in dem sie mehr Sport treiben, sich anders ernähren, Meditationen und einen achtsameren sozialen Umgang pflegen.

Komplementärmediziner reden länger mit ihren Patienten, schließen sie seltener an teure Apparate an und versorgen sie weniger mit kostspieligen und nebenwirkungsstarken Arzneien, zeigten Studien in der Schweiz. Die Gesundheitsökonomen des Charité-Instituts in Berlin kamen in einer Erhebung an chronisch erkrankten Patienten sogar zu dem Schluss, dass die Anwendung von Homöopathie eine Therapie nicht teurer mache, da gleichzeitig weniger konventionelle Arzneien verschrieben wurden.

Mehr Frauen als Männer, eher höher Gebildete und überdurchschnittlich häufig chronisch Erkrankte erkundigen sich nach ergänzenden Heilmethoden, ergaben Untersuchungen. „Wer sich für die Komplementärmedizin interessiert, möchte vom Arzt als ganze Person wahrgenommen werden“, sagt Heike van Laak, Sprecherin der Stiftung Warentest, „diese Patienten legen auf Selbstbestimmung großen Wert.“ Und möchten sich daher auch der reinen Wirksamkeitsforschung der konventionellen Medizin nicht bedingungslos unterwerfen.