Antisemitismus-Debatte
: Opfer der Medien

Mira Lammers ist eine energische Frau. Wenn sie über ihr Verhältnis zu Medien spricht, kommen die nicht gut weg. Sie hat Erfahrungen mit der Presse gemacht – und spricht von „Vorverurteilung“, „Vereinnahmung“, „Polarisierung“. Lammers ist die Direktorin der Lina-Morgenstern-Schule in Kreuzberg, die im Herbst in die Schlagzeilen geriet. Darüber ärgert sie sich noch heute.

Es ging um einen harmlos anmutenden Streit zwischen zwei Mädchen, der laut Lammers schnell beigelegt werden konnte. Das Problem war nur: Eine Schülerin ist Jüdin, die andere Muslimin. Die Medien bekamen Wind von der Sache. „Hätten die nicht darüber berichtet, wäre die Schülerin noch in unserer Schule“, sagte Lammers am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion im taz-café.

Später gab Lammers der taz ein Interview. Darin kritisierte sie auch die Jüdische Gemeinde. Diese hätte die Schülerin vereinnahmt: „Die Schülerin, die als Täterin verantwortlich gemacht wird, hat mit Antisemitismus wenig zu tun.“ Diese Aussage war verharmlosend, konterte Barbara Witting bei der Diskussion. Es gebe „jede Menge solcher Fälle, die Schülerin ist kein Einzelfall“, so die Leiterin jener jüdischen Schule, auf die die Schülerin nach dem Vorfall wechselte.

Die Schule war noch in einem anderen Fall Teil eines „Medienhypes“ – so der Untertitel der Veranstaltung. Diesmal mit positivem Ausgang. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) trat, nachdem er bekundet hatte, er würde seine Kinder nicht auf eine Kreuzberger Schule schicken, einen Canossagang in die Morgenstern-Schule an und brachte „zwei neue Lehrer mit“, so Lammers.

Am Mittwoch stritten die beiden Schulleiterinnen aber nicht nur über Pro und Contra medialer Berichterstattung, sondern auch darüber, wie groß das Problem Antisemitismus ist. Witting meinte, jüdische Jugendliche bräuchten heute „Schutzräume“. Der Pädagoge und Extremismusforscher Michael Rump-Räuber bestätigte diese Beobachtung. Antisemitismus sei auf dem Vormarsch, es gebe eine „sehr hohe Dunkelziffer“. Neben der klassischen rechtsextremen Ausprägung bemerke er verstärkt Ressentiments bei muslimischen Jugendlichen. Hier werde oft die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus überschritten – dann etwa, wenn „Juden zurück ins Meer getrieben werden sollen“. Es brauche verstärkt ein „Klima, in dem jüdische Mitschüler erleben, dass der Lehrer hinter ihnen steht“.

Darin waren sich die Diskutanten einig: Pädagogen müssten klar „Standpunkt beziehen“, so Rump-Räuber. Ein älterer Lehrer aus dem Publikum erklärte, er diskutiere mit seinen Jugendlichen nicht mehr über antisemitische Ressentiments: „Wenn es um Antisemitismus geht, verweise ich nur mehr auf Strafrechtsparagrafen.“ ROMAN SCHMIDSEDER