„Provozierende Vision“

Ob eine kopftuchtragende Muslimin in Bremen zum Referendariat im Fach „Biblische Geschichte“ zugelassen werden muss, wird jetzt vermutlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden

von Jan Zier

Nur soviel scheint sicher: Der Bremer Kopftuchstreit wird vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Entweder das Oberverwaltungsgericht weist heute die Klage einer türkischstämmigen Muslimin ab, die als angestellte, nicht verbeamtete, Referendarin ihre Ausbildung in Bremen abschließen will. Dann wird sie selbst mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe ziehen. Denn sie – und darauf kommt es an dieser Stelle an – will als Lehramtsanwärterin in Bremen „Biblische Geschichte“ unterrichten. Und dabei das Kopftuch tragen dürfen. Das bremische Schulgesetz verbietet das. Die Frage ist jedoch, ob dies mit der grundgesetzlich verbrieften Freiheit der Berufswahl vereinbar ist. Verneinen die Richter das, müssen sie den Fall der Frau K. selbst dem Verfassungsgericht vorlegen.

Bildungssenator Willi Lemke (SPD) will auf jeden Fall verhindern, dass LehrerInnen im Unterricht ihr religiöses Bekenntnis „nach außen tragen“. Das gebiete die Neutralitätspflicht des Staates, argumentiert das Bildungsressort. Das Kopftuch sei eine „abstrakte Gefahr für den staatlichen Erziehungsauftrag und den Schulfrieden“, sagt Lemke. Und so wurde für Frau K. eigens das bremische Schulgesetz geändert. Keine Referendarin, so steht da jetzt, darf ein Kopftuch tragen, sobald sie in der Schule „eigenverantwortlichen Unterricht“ geben will. Eine Ausnahme für den Einzelfall ist in Bremen – anders als in vier anderen Bundesländern – im Gesetz nicht vorgesehen.

Den Kompromissvorschlag des Ressorts, das Kopftuch zumindest während der Religionskunde-Stunden abzulegen, hat Frau K. abgelehnt. Sie müsse dann „gegen ihre religiöse Überzeugung“ handeln, sagt Frau K., „gegen ihr Gewissen handeln“. Ihre Würde aufgeben. Es geht um’s Prinzip.

Und genau das wird ihr jetzt möglicherweise zum Verhängnis. Frau K. hat „tragischerweise“ Religionskunde studiert, sagt ihr Anwalt Volkert Ohm vor Gericht. Nicht Mathematik oder Geschichte. Denn sonst, sagt Ohm, würden die Gerichte jetzt nicht über die Ausbildung von Frau K. entscheiden, gäbe es „keinen Aufschrei“ von LehrerInnen, von der Öffentlichkeit. Sonst wäre Frau K. vermutlich schon lange Lehrerin. So aber stehe die „provozierende Vision“ im Raum, sagt ihr Anwalt, dass eine Muslimin Biblische Geschichte auf christlicher Grundlage unterrichtet. Und Bremen, die bremische Verfassung, ist religionsferner als andere die Bundesländer.

Doch die Freiheit der Berufswahl, sagt das Verfassungsgericht, darf nur beschränkt werden, wenn „überragende Schutzgüter“ dies „zwingend erforderlich“ machen. Oder, anders formuliert: Ist es für Frau K. „unzumutbar“, sich anderswo um einen Referendariatsplatz zu bemühen? „Das ist eine schwierige Frage“, sagt Brigitte Dreger, die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht. „Wir haben uns noch nicht entscheiden.“ Das dreiköpfige Richterkollegium tendiert uneinheitlich.

In Nordrhein-Westfalen ist Frau K. bereits einmal gescheitert. Und in Bremen, sagt das Bildungsressort, würde sie Konflikte in der Schule „geradezu provozieren“. 2005 war Frau K. bereits einmal an einem Gymnasium tätig – zumindest für ein Vierteljahr. Zwar sei es der Schule gelungen, „die Konflikte zu beherrschen“, sagt Detlef von Lührte aus dem Bildungsressort. Dennoch habe es „erhebliche Auseinandersetzungen“ in der Lehrerschaft gegeben. Und schließlich habe ja auch der Radikalenerlass gezeigt, dass nicht jeder, der Lehrer werden wolle, auch als solcher ausgebildet werden müsste.