EXMUSLIME BEKENNEN SICH ZUM ABFALL VON DER RELIGION
: Das Tabu in Frage stellen

Apostasie, der „Abfall vom Glauben“, ist in muslimischen Ländern bis heute ein Tabu. Natürlich gibt es auch dort viele, die säkular denken oder ihrer Religion gegenüber kritisch eingestellt sind. Dennoch trauen sich nur wenige, dies öffentlich zu bekunden – aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung oder davor, zur Zielscheibe von Fundamentalisten zu werden. Nach traditioneller Lesart stellt der „Abfall vom Glauben“ ein todeswürdiges Verbrechen dar. Selbst in einem formell säkularen Staat wie der Türkei gibt es deshalb nur wenig bekennende Atheisten, die sich das Wort „dinsiz“ – „religionslos“ – in ihren Pass eintragen lassen.

Das ist der Hintergrund, vor dem der neu gegründete „Zentralrat der Exmuslime“ seine Brisanz erhält. Dass er vor allem von linken Exil-Iranern ins Leben gerufen wurde, ist kein Zufall. Denn es waren im Iran vor allem säkulare Linke und Kommunisten, die nach der „Islamischen Revolution“ von 1979 im Namen des Islam verfolgt wurden und unter Ajatollah Chomeini zu tausenden ihr Leben ließen. Es überrascht allerdings, dass die Initiatoren vor allem innenpolitische Motive nennen für ihren Entschluss, mit einem „Zentralrat der Exmuslime“ an die Öffentlichkeit zu treten. Der Name deutet es schon an: Sie wollen damit den Alleinvertretungsanspruch der islamischen Verbände, vor allem der Berufsmuslime von „Milli Görüș“ und dem „Zentralrat der Muslime“, kontern.

Damit allerdings rennen sie offene Türen ein. Denn selbst zur „Islam-Konferenz“ von Wolfgang Schäuble waren ausdrücklich viele säkulare und unabhängige Intellektuelle eingeladen, um ein Gegengewicht zum Verbandsislam zu bilden. Doch es wäre falsch, jetzt müde abzuwinken. Denn was hierzulande eine Selbstverständlichkeit ist, taugt anderswo zur Provokation. Der „Zentralrat der Exmuslime“ könnte durchaus Signalwirkung haben – allerdings vor allem jenseits der deutschen Grenzen. Die Kampagne „Wir haben abgeschworen“ besitzt das Potenzial, auch in muslimischen Ländern eine Debatte über Religionsfreiheit und die Freiheit von Religion anzustoßen: wenn sie dort wahrgenommen wird. DANIEL BAX