„Mauscheln ist nicht mein Ding“

Gisela von der Aue

Ich kann gut umgehen mit Leuten, die mir offen ihre Meinung sagen. Ich lasse mich auch überzeugen. Muscheln und Mauscheln und alle fünfe gerade sein lassen, ist allerdings überhaupt nicht mein Ding

Machtversessen und autoritär, geltungssüchtig – diese Attribute haben Kritiker Gisela von de Aue (SPD) zugeschrieben, als sie im Februar den langjährigen Justizstaatssekretär Christoph Flügge feuerte. Inzwischen ist die 57-Jährige 100 Tage als Justizsenatorin im Amt. Die Angriffe auf ihre Person sieht sie gelassen. „Wer eine Führungsposition innehat, muss sie auch ausüben wollen.“ Schon als Präsidentin des Landesrechnungshofs Brandenburg hatte die Juristin und dreifache Mutter gezeigt, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Mit ihrer Körpergröße von 1,56 Meter wird sie eher unterschätzt – was ihr nicht ungelegen kommt

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Frau von der Aue, in der Staatsanwaltschaft kursiert der Spruch, Sie hätten Ihrem Staatssekretär die Eier abgebissen und zum Frühstück verzehrt. Zu Recht?

Gisela von der Aue: Das ist absolut albern.

Es gibt Leute, die sagen, Sie seien machtversessen, autoritär und geltungssüchtig. Haben Sie dieses Bild mit dem plötzlichen Rausschmiss des langjährigen Justizstaatssekretärs Christoph Flügge nicht bestätigt?

Damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Wenn man eine Führungsposition innehat, muss man sie auch ausüben wollen. Dazu gehört, den Mitarbeitern bei Entscheidungen auch mal auf die Füße zu treten. Ich kann gut umgehen mit Leuten, die mir offen ihre Meinung sagen. Ich lasse mich auch überzeugen. Muscheln und Mauscheln und alle fünfe gerade sein lassen, ist allerdings überhaupt nicht mein Ding.

Mit der Entlassung von Flügge haben Sie sich viel Kritik eingehandelt. Wie ist die Stimmung in der Justizverwaltung?

Ich würde sagen: ganz normal. Wenn es Ressentiments gegen mich gibt, werden sie nicht offen vorgetragen. Ich habe meine Entscheidung, Herrn Flügge zu entlassen, im Hause sehr offensiv gehandhabt. Es ist nie meine Intention gewesen, seine langjährigen Verdienste zu schmälern.

Sie kennen Flügge seit vielen Jahren aus gemeinsamer Parteiarbeit. Er war es, der Sie dem Regierenden Bürgermeister als Justizsenatorin vorgeschlagen hat. Halten Sie es für einen guten Stil, so jemanden von einem Tag auf den anderen vor die Tür zu setzen?

Es war nicht von jetzt auf gleich. Es handelt sich um einen Zeitraum von 14 Tagen, in denen wir in grundlegenden Dingen keine Übereinstimmung erzielt haben. Nicht nur in Fragen, die die Aufarbeitung der sogenannten Medikamentenaffäre in den Berliner Vollzugsanstalten betreffen. Wenn die Kooperation nicht klappt, muss man Konsequenzen ziehen.

Die Medikamentenaffäre war für Sie kein willkommener Anlass, sich eines mächtigen Kollegen zu entledigen, der in der Behörde als heimlicher Justizsenator galt?

Ganz sicher nicht. Dass Herr Flügge in der Behörde so verankert ist, war doch auch für mich von großem Vorteil. Ich konnte von seinem Wissen profitieren.

Ihnen ist unterstellt worden, Sie wollten sich in Berlin als große Aufklärerin profilieren. Als Präsidentin des Landesrechnungshofs Brandenburg hatten Sie ja bereits Ihren Vizepräsidenten wegen Verdachts der Manipulation von Spesenrechnungen in die Wüste geschickt.

Ich bin schon mit vielen Attributen belegt worden. Das ist nicht angenehm, aber ich kann damit leben. Ich habe ein festes Prinzip: Wenn man Verantwortung trägt und deutliche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten und Missstände hat, ist man verpflichtet, die Dinge aufzuklären.

Hört sich vielversprechend an. Ihre Vorgängerin, Karin Schubert, ist als Justizsenatorin nicht gerade aufgefallen. Empfinden Sie es eigentlich als Makel, dass Sie nur durch die Frauenquote zu dem Posten gekommen sind?

Eine Quotenfrau zu sein ist doch keine Abwertung. Ich bin seit 1968 Mitglied der Berliner SPD. Schon zu Jusozeiten habe ich mich dafür engagiert, dass wir die Frauenquote einführen. Ohne die Quote gäbe es deutlich weniger Frauen in Spitzenpositionen, weil Frauen in aller Regel sehr viel länger überlegen als Männer. Wenn ich auf der Basis einer Quote gute Arbeit leiste, ist das in Ordnung, oder nicht?

Sie sind in Niebüll in Schleswig Holstein geboren und zur Schule gegangen. Wie kam es, dass Sie Juristin geworden sind?

Ich wollte auf gar keinen Fall Lehrerin werden. Mein Vater war Lehrer. Die Vorstellung, jeden Tag einer Meute von Kindern ausgesetzt zu sein, war mir ein Gräuel, und medizinische Berufe liegen mir nicht. Durch die Berufsberatung in Niebüll bin ich auf Jura gestoßen. Danach habe ich ein Buch über einen Jugendrichter gelesen und „Die Einführung in das juristische Denken“ von Karl Engisch. Das fand ich wahnsinnig interessant.

Jura ist doch furchtbar trocken.

Finde ich überhaupt nicht. Das Recht ist in allen Bereichen des menschlichen Lebens präsent. Wäre das nicht so, würde unser Miteinander längst nicht so friedlich ablaufen.

Warum sind Sie nicht Richterin geworden?

Während des Jurastudiums, das ich 1968 in Berlin begann, hatte ich sehr viel Politik gemacht. Ich war Mitglied im Juso-Landesvorstand und im Sozialdemokratischen Hochschulbund. Wir haben uns stark auf die Bildungspolitik konzentriert, versucht, die Emanzipation der Frauen voranzutreiben und uns für die Gleichberechtigung von Minderheiten eingesetzt. Die politische Arbeit mit der juristischen zu verbinden, hat mich damals mehr gereizt.

Haben Sie an der SPD im Laufe der Jahre mal gezweifelt?

Immer wieder. Da waren zum Beispiel die Berufsverbote …

Sie meinen den sogenannten Radikalenerlass, der 1972 unter dem SPD-Bundeskanzler Willi Brandt zustande kam und Mitgliedern von kommunistischen Gruppen verbot, in den öffentlichen Dienst eingestellt zu werden?

Genau. Ich fand das nicht gerechtfertigt. Oder die Arbeitsmarktpolitik. Wir sollten nicht zulassen, dass die unterschiedlichen Bereiche gegeneinander ausgespielt werden und eine gewisse Entsolidarisierung stattfindet. Auch sollten die Arbeitnehmer, die in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten auf Einkommen verzichtet haben, merken, dass auch sie vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.

Kurz nach Ihrem Studium sind Sie in den öffentlichen Dienst gegangen. Sie waren wissenschaftliche Referentin in der Verwaltung des Abgeordnetenhauses, als Ihre drei Kinder zur Welt kamen. Mit Ende 30, Anfang 40 gehören Sie zu den spät gebärenden Müttern.

Ich wollte immer Kinder haben. Meine erste Ehe war auseinandergegangen. Ich musste erst den richtigen Partner finden …

Hartmann von der Aue, den ehemaligen Verwaltungsdirektor des Abgeordnetenhauses.

Richtig. Ich wusste aber auch, dass ich immer berufstätig bleiben will. Als abschreckendes Bespiel stand mir meine Mutter vor Augen. Sie konnte kein Abitur machen, weil ihr älterer Bruder Medizin studiert hat. Mehr war zu Hause finanziell nicht drin. Meine Mutter war wahrlich nicht dumm, hat sich aber trotzdem immer über ihren Ehemann und ihre Familie definiert.

Wie haben Sie es geschafft, mit drei kleinen Kindern voll berufstätig zu bleiben?

Ich hatte ein wunderbares Netzwerk, bestehend aus meiner Mutter, die bei uns gewohnt hat. Die Schwiegermutter ist mindestens einmal die Woche dazu gekommen. Auch deren Freundinnen haben liebend gern Ersatzoma gespielt. Wir konnten uns der Masse an Betreuerinnen kaum erwehren. Außerdem war der Kindergarten direkt im Nachbarhaus.

Sie haben damals schon in Reinickendorf gewohnt?

Nein, noch in Tiergarten. Ich habe nach jedem Kind eine halbjährige Babypause eingelegt. Danach hat es mir mein Arbeitgeber, das Abgeordnetenhaus, ermöglicht, mittags zum Stillen nach Hause zu fahren. Abends und am Wochenende haben mein Mann und ich uns voll auf die Kinder eingestellt. Ich habe nicht den Eindruck, dass es ihnen geschadet hat.

Ihr Mann befindet sich seit Ende 2006 im Ruhestand. Wer hat bei Ihnen daheim die Hosen an?

Beide. Mein Mann und ich haben immer Hand in Hand gearbeitet. Vor allem hatten wir ein Prinzip: Wir haben uns von den Kindern nicht auseinanderdividieren lassen.

Er ist zu Hause. Sie stehen im Rampenlicht. Wie ist das für Ihren Mann?

Er findet das gut. Er hat mich auch immer eher gedrängt. Ich habe immer eher gezweifelt. Das war schon beim Rechnungshof so. Wenn du das eine kannst, kannst du auch das andere, hat er gesagt. Justizsenatorin sei doch ein toller Job.

Und was sagen Sie nach drei Monaten? Hatte er Recht?

Es ist ein sehr anstrengender Job, viel schnelllebiger als am Rechnungshof. Dort war man sehr eigenbestimmt, hatte nicht diesen Entscheidungsdruck, unmittelbar zu reagieren. Aber ich setze mich auch selbst unter Termindruck. Ich will schnell alle Bereiche kennen lernen, mit den Gerichtspräsidenten, Personalräten und Verbänden sprechen, die Vollzugsanstalten besuchen. Vieles ist mir ja noch von früher bekannt. Das ist von großem Vorteil. Ganz wichtig ist mir auch die Anbindung ans Parlament, dass die Dinge alle in Abstimmung mit dem Abgeordnetenhaus geschehen.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Neulich, bei der Eröffnung des Haftkrankenhauses, musste für Sie ein Treppchen hinter das Rednerpult gestellt worden. Wie groß sind Sie?

1,56 Meter.

Leiden Sie darunter, so klein zu sein?

Früher ja. Das war schrecklich. In Schleswig-Holstein sind die Menschen ja alle ziemlich groß. Ich war immer die Kleinste oder die Zweitkleinste. Wenn man jung ist, versucht man das mit Stöckelschuhen auszugleichen. Wenn man älter wird, ist einem das herzlich egal. Wenn ich heute beim Einkaufen nicht an ein Regal rankomme, habe ich kein Problem zu sagen: Junger Mann, können Sie mir bitte mal helfen. Dadurch ergeben sich nette Gespräche.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie wegen Ihrer Körpergröße tendenziell unterschätzt werden?

Ich finde es sehr angenehm, unterschätzt zu werden. Wenn einen die Leute für doof halten, verhalten sie sich nicht so taktisch.

Kleine Männer haben mitunter große Minderwertigkeitsprobleme, die sie mit einem ausgeprägten Machtverhalten kompensieren. Erinnert sei an Napoleon und Heinrich Lummer.

Es gibt einen Spruch: Hüte dich vor kleinen Männern, kleine Männer sind gefährlich. Ich glaube nicht, dass man das auf kleine Frauen übertragen kann.