Riesengroßer Unterschied

Betr.: „Pionier des wissenschaftlichen Rassismus“, taz nord vom 22. Februar 2007

Eigentlich hätte ich über einen solchen Artikel nur den Kopf schütteln können, wäre da nicht die Diskreditierung von mir als Wissenschaftlerin, die ja nicht nur mich trifft, sondern auch die mich betreuenden Professoren und obendrein unsere beiden Institute. In meinen langen Ausführungen zu Exners Hauptwerk hatte ich versucht, Ihnen Folgendes zu erklären:

Ich schließe mich nach meinem jetzigen Wissens-/Forschungsstand der Auffassung von Karl Peters an, der 1977 an der Universität Tübingen in seiner Rede zur 500-Jahr-Feier der Juristenfakultät über Exner sprach und den Titel seines Hauptwerkes „Kriminalbiologie“ als „sicherlich zu eng“ gefasst sieht und hier Exners „Schwergewicht bei der Kriminalsoziologie“ sieht. Auch der deutsch-amerikanische Historiker Richard Wetzell sieht ihn als Kriminalsoziologen, nämlich als „Germany’s preeminent criminal sociologist“. Ich habe den Nachlass nach dem Fund 2004 gesichtet und geordnet. Parallel zu alledem habe ich versucht, eine Ausstellung mit „Dokumentationscharakter“ auf die Beine zu stellen. Als alleinige Forscherin an dem Nachlass hätte ich nebenbei keine aussagekräftige Werkanalyse durchführen können. An dieser Stelle hätten Sie mich dann mit den Worten „Dazu bin ich noch nicht gekommen“ richtig zitiert. Für eine fundierte und seriöse Forschung braucht man Zeit – das ist kein „Schnell-Artikel“, den man, basierend auf mangelhafter Recherche und mit inhaltlichen Fehlern, in kürzester Zeit fertig stellen und abliefern kann. Ginge ich so vor, dann würde man mich in der Fachwelt schlicht und ergreifend auslachen. Wie aber kommen Sie zu der Annahme, ich hätte Exners Hauptwerk nie gelesen? Dass ich noch keine Werkanalyse durchführen konnte, heißt doch keineswegs, dass ich das Werk noch nicht gelesen habe. Zwischen einer Lektüre und einer Werkanalyse besteht ein riesengroßer Unterschied.

Sie erwähnen lobenswerter Weise, dass meine Diplomarbeit mit „sehr gut“ bewertet wurde. Hätten Sie sich meine Diplomarbeit zur Hand genommen, so hätten Sie festgestellt, dass ich Exners Hauptwerk dort inhaltlich zusammengefasst habe. Und das ohne das Werk gelesen zu haben? So stellt sich doch für mich die Frage, inwieweit der Verfasser des Artikels sich mit der Ausstellung und vor allem mit dem Werk Exners befasst hat und wie viel Sachverstand für die Thematik er mitbringt, wenn er ohne solide Basis so schwere Geschütze und fragwürdige Etiketten auffährt. DORIS LORENZ, Hamburg

Die Redaktion bedauert die Formulierung, Frau Lorenz habe Exners Hauptwerk nicht gelesen. Sie beruht auf einem Missverständnis. Ihre Integrität als Forscherin wollten wir nicht in Zweifel ziehen.

In ihrem Artikel mögen sie zwar den Kritikpunkt der ungenügenden Darstellung des NS-Hintergrunds erfasst haben. Die kleine (!) Ausstellung, Auftakt zu einer viel grundlegenderen kritischen Reflexion der wissenschaftlichen Stellung und des Wirkungshorizontes Franz Exners, umreißt vor allem dessen Werdegang, sowie Umfeld und Herkunft. Darüber hinaus hat Frau Lorenz, und das ist aus meiner Arbeit mit ihr hervorgegangen, auch das Hauptwerk Exners erörtert. Ein breiterer Weg der Urteilsfindung wäre wünschenswert gewesen. So ist es leider nur unfair! MARCUS ZAMAITAT, Hamburg