Die unterdrückte Muslimin – ein Klischee

Gewalt gegen Migrantinnen war ein Fokus des Internationalen Frauentags. Über das Ausmaß gibt es keine gesicherten Zahlen. Die Türkische Gemeinde will das Thema anhand „frauenpolitischer Thesen“ mit den muslimischen Verbänden diskutieren

VON HEIDE OESTREICH

„Willst du ein Kopf weniger, komm her“, quakt der junge Mann mit dem Messer in der Hand auf der Treppe zur U-Bahn. Seine Freunde feixen. Die beiden Journalistinnen nehmen ihn nicht ernst und gehen weiter. Aber etwas komisch ist es schon, waren sie doch gerade auf dem Rückweg von der Pressekonferenz der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD), auf der der Vorsitzende Kenan Kolat erklärt hatte: „Gewalt ist kein Frauenproblem, sondern ein Männerproblem.“ Recht hat er.

Gewalt gegen Frauen war das offizielle Thema des gestrigen Internationalen Frauentags. Der UN-Sicherheitsrat hat gemahnt, dass die Länder Männergewalt besser bekämpfen müssen. Nur 89 der 192 UNO-Staaten haben überhaupt Gesetze gegen häusliche Gewalt. Und diese Gesetze werden zum Teil nur unzureichend umgesetzt.

In Deutschland haben verschiedene Organisationen Kampagnen gegen Gewalt an Frauen gestartet: Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe will mit Plakaten die Öffentlichkeit sensibilisieren. Die Organisation Terre des Femmes macht ebenfalls eine Kampagne, die gestern mit einer Fachtagung mit dem Schwerpunkt Gewalt gegen Migrantinnen eröffnet wurde.

Gesicherte Zahlen über das Ausmaß dieser Gewalt liegen derzeit allerdings nicht vor. Das Frauenministerium hat einmal 250 Migrantinnen befragt, keine repräsentative Gruppe. Während von einer repräsentativen Stichprobe aller Einwohnerinnen Deutschlands 40 Prozent angaben, seit ihrem 16. Lebensjahr schon einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben, waren es in der nicht-repräsentativen Befragung unter den türkischen Migrantinnen 49 Prozent.

Dass das Ausmaß dieser Gewalt nicht genau bezifferbar ist, war gestern auch ein Kritikpunkt der TGD, die gestern ihre „frauenpolitischen Thesen“ vorstellte. Vorstandsmitglied Berrin Alpbek kritisierte, dass in den deutschen Medien ein Klischee der türkischen Frau als „unterdrückt, sprachlos, verängstigt“ verbreitet werde, dabei lebten 50 Prozent der Türkinnen zwischen 18 und 29 unverheiratet in Deutschland, viele von ihnen allein, also ohne einen potenziellen Unterdrücker. Dies habe eine Umfrage des Zentrums für Türkeistudien ergeben. Sämtliche Befragte waren der Ansicht, eine Frau brauche eine gute Ausbildung und einen Beruf. Alle diese Facetten aber tauchten in der deutschen Diskussion nicht auf.

Dessen ungeachtet plädiert die Türkische Gemeinde aber ausdrücklich für eine Diskussion innerhalb der Community über Frauenrechte. Die TGD veröffentlichte 10 Punkte zu diesem Thema, vom Bekenntnis zur Selbstbestimmung der Frau über die Ächtung der Gewalt bis hin zur Forderung nach Unterstützungseinrichtungen für Migrantinnen. Vor allem die religiösen Zusammenschlüsse werden aufgefordert, diese Punkte ebenfalls bei ihren Mitgliedern durchzusetzen. Insbesondere die Selbstbestimmung der Frau sei in muslimischen Verbänden durchaus umstritten, meinte Kolat: „Ich bin sehr gespannt, was nun von denen kommt“.

Zugleich forderte in Köln eine international besetzte Experten-Konferenz zum Thema Frauen im Islam“ die Gleichbehandlung der Frauen in muslimisch geprägten Ländern. Der Islam werde oft missbraucht, um Frauen zu unterdrücken, kritisierte die Islambeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag, Lale Akgün, eine der InitiatorInnen der Tagung. Thomas Meyer von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die die Tagung ausrichtete, merkte an, dass in allen Religionen eine Zunahme der politischen Instrumentalisierung des Bekenntnisses zu beobachten sei.