Berlin kommt ins Schwitzen

Was bedeutet der Klimawandel für die Region? Laut Experten steigt die Temperatur bis 2050 um bis zu 2 Grad, Wasser wird knapp, die Vegetation ändert sich. SPD: „Schmerzhafte Schnitte nötig“

von ULRICH SCHULTE

Ein sommerlicher Ausflug in den Spreewald könnte im Jahr 2050 sehr deprimierend ausfallen: Anstatt im Holzkahn über plätschernde Kanäle zu schippern, müssten Erholung suchende Großstädter durch morastige Rinnen stapfen – und könnten die berühmten Kähne höchstens kieloben besichtigen.

Ein trockengelegtes Ausflugsgebiet ist nur eine der Folgen des Klimawandels für die Region. Experten skizzierten in der gestrigen Sitzung des Umweltausschusses des Abgeordnetenhauses, was die Erderwärmung für Berlin und Brandenburg bedeutet: Trockenheit, Gesundheitsrisiken für die Bürger, eine andere Stadtplanung und hohe Kosten, um das Schlimmste abzuwenden. „Die Region ist in besonderer Weise von der Erderwärmung betroffen“, sagte Frank Wechsung vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Wechsung schätzt, dass die Temperatur bis 2050 durchschnittlich um 1,5 bis 2 Grad ansteigen wird. Die Region reagiert so sensibel, weil hier im Vergleich zu anderen Bundesländern wenig Niederschläge fallen – obwohl beide Länder reich an Flüssen und Seen sind. Extremereignisse, also milde Winter wie der diesjährige und heiße Sommer wie im Jahr 2003, werden häufiger. „Fallen Niederschläge im Winter nicht als Schnee, sondern als Regen, ist der Abfluss in Flüssen höher“, sagt Klaus Müschen, Abteilungsleiter im Umweltbundesamt.

Das Wasser ist weg, bevor die Pflanzen daran kommen können, außerdem verdunstet im Sommer mehr. Das Nass wird auch deshalb knapper, weil die Vegetation immer früher „anspringt“, wie Wechsung sagt. „Frühblüher wie Forsythien treiben heute drei Wochen früher als noch vor 30 Jahren – das wird sich fortsetzen“, sagt Wechsung.

Berlin konnte sich bisher über einen reichlichen Wasserimport freuen. Im Braunkohletagebau in der Lausitz pumpt der Stromkonzern Vattenfall riesige Mengen Grundwasser ab und „entsorgt“ sie in den Fluss. Ebendieses Wasser bewahrt im Moment die Kanäle im Spreewald vorm Austrocknen. Doch immer mehr Kohlelöcher werden renaturiert, also mit Grundwasser zu Seen aufgefüllt – der Hauptstadt geht der Nachschub aus. „Berlin steht vor einem gravierenden Problem des Wassermanagements“, so PIK-Forscher Wechsung.

Absurderweise sorgt der Umweltschutz dafür, dass die Temperaturkurve schneller steigt: Anfang der 90er-Jahre blies die veraltete Industrie der DDR große Mengen Schwefeldioxid in die Luft, an den Teilchen kondensierten Wassertröpfchen. Diese Wolken reflektierten Sonnenstrahlen. Seit der Wende kommen diese ungehindert durch.

Der Senat weiß um die Probleme, die auf ihn zukommen. „Bisher haben wir Trinkwasser im Überfluss. Das wird sich ab 2035 umkehren“, sagt Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei). Sie will bald ein Konzept vorlegen, mit dem Berlin die strenge Wasserrahmenrichtlinie der EU erfüllt. Ist weniger Wasser da, so ihr Kalkül, werden Abwässer mit Schadstoffen nicht mehr so verdünnt wie bisher. Außerdem will der Senat in Zusammenarbeit mit Brandenburg ein Klimaschutzmanagement entwickeln. „Das Thema macht an der Stadtgrenze nicht halt.“

Nach Ansicht der Experten muss sich das Berlin der Zukunft an den Klimawandel anpassen. Mit klug angelegten Frischluftschneisen, gedämmten Gebäuden, die der alternden Bevölkerung Kühlung verschaffen, und vor allem einer neuen Energiepolitik. „Die zentrale Botschaft lautet: Energie sparen“, sagt Müschen vom Umweltbundesamt. Idealerweise so viel, dass das von Vattenfall geplante Steinkohlekraftwerk überflüssig würde, das in Lichtenberg Strom und Wärme produzieren soll. „Ein solches Kraftwerk hält 40 Jahre. Braucht man bei einer konsequenten Gebäudesanierung überhaupt noch so viel Fernwärme?“, fragt Müschen.

Die Umweltexperten aller Parteien nicken zu den Aussagen. „Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen des Klimawandels werden dramatisch sein“, sagt der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz. Schmerzhafte Schnitte seien nötig. „Das ist noch gar nicht in den Köpfen der Menschen angekommen.“ CDU-Mann Carsten Wilke pflichtet ihm bei: „Es wird teuer werden. Und wir werden uns das leisten.“