Tequila Sunset

Ein 16-Jähriger liegt nach einem Alkoholrausch im Koma. Politiker jeder Couleur fordern deswegen ein Verbot von „All you can drink“-Angeboten. Dabei saufen Jugendliche insgesamt immer weniger

VON MATTHIAS LOHRE

Die Geschichte beginnt wenig spektakulär. Der 16-jährige Lukas W. aus Zehlendorf betritt in den frühen Morgenstunden des 25. Februar die Kneipe „Eye T“ am Spandauer Damm in Charlottenburg. Laut Augenzeugen prahlt er, wie viel er bereits in einer anderen Bar getrunken habe. Dann schläft er am Tresen ein. Doch der Jugendliche erbricht sich, erstickt fast an seinem Erbrochenen, muss reanimiert werden und liegt seit mehr als zwei Wochen auf der Intensivstation des Virchow-Klinikums. Koma.

Seither wollen Presseberichte von wahlweise 45 oder 52 Gläsern Tequila wissen, die dem Gymnasiasten die lebensbedrohliche Vergiftung beschert haben sollen. Blätter wie der Berliner Kurier heucheln Mitgefühl: „Ein billiger Vollrausch, ein schäbiger Tod. Soll es das wirklich gewesen sein für Lukas (16)?“ Je länger das Koma andauert, desto vielstimmiger wird die Debatte über jugendliches Kampftrinken – und mögliche Schlussfolgerungen.

In seltener Einmütigkeit fordern Landespolitiker ein Verbot so genannter „Flatrate“- oder „All you can drink“-Partys, auf denen die Gäste einmal zahlen und hernach so viel trinken dürfen, wie sie wollen. Die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sandra Scheerer, erklärt gegenüber dem Tagesspiegel: „Das allein löst zwar nicht das generelle Problem des Alkoholmissbrauchs von Jugendlichen, aber es wäre ein wichtiges Signal.“ Ihr Ressortkollege von der CDU, Sascha Steuer, assistiert: „Ich bin für ein Verbot der Flatrate-Sauferei, wenn das rechtlich möglich ist.“ Der gesundheitspolitische Sprecher der Linkspartei, Wolfgang Albers, empört sich über die „Ungeheuerlichkeit“, die verboten gehöre. Selbst die Grüne Heidi Kosche ist für ein Verbot (siehe Interview). Der FDP-Jugendpolitiker Mirco Dragowski argumentiert: „Gegen das Flatrate-Trinken muss schon deshalb vorgegangen werden, weil es laut Gaststättengesetz verboten ist, an erkennbar Betrunkene noch Alkohol auszuschenken.“

Zudem regelt das Jugendschutzgesetz, dass sich unter 18-Jährige nach 24 Uhr nicht mehr in Bars und Diskotheken aufhalten dürfen. Ebenso sind „Abgabe und Verzehr“ von Spirituosen Minderjährigen verboten. Daher ist Gesundheitsstaatssekretär Benjamin Hoff (Linkspartei) gegen Rechtsänderungen: „Der Ruf nach einer Verschärfung von Gesetzen ist sinnlos, wenn die Gesetze, die wir haben, nicht eingehalten werden.“ Aber Hoff gibt zu: „Die Zahl der Prüfer, die auf bezirklicher Ebene Gaststätten kontrollieren, ist zu gering.“

Generell trinken in Deutschland junge Menschen immer weniger. Laut dem Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Rolf Hüllinghorst, ist deren Alkoholkonsum auf den Stand von 1994 gesunken. Nur: „Jugendliche trinken zwar generell weniger, aber diejenigen, die trinken, trinken mehr.“ Laut Gesundheitsverwaltung wurden 2005 in Berlin 166 männliche und 108 weibliche Jugendliche im Alter zwischen zwischen 10 und 20 Jahren länger als einen Tag mit Alkoholvergiftung in Kliniken behandelt. Bei den Jungen war das eine Zunahme um 73, bei den Mädchen um 16 Prozent.

Hoff setzt daher auf Aufklärung in Schulen und Jugendeinrichtungen, wenn jemand oft als betrunken auffällt, sowie auf sozialtherapeutische Beratung. Doch ein Problem bleibe: „Die Unternehmer nehmen durch Angebote wie Flatrate-Partys so viel ein, dass sie die Strafe für einen Gesetzesverstoß ohne Probleme zahlen können.“

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