Vakuum im Umweltschutz

Kompetenzen zerstreut, weniger Geld, schlechte Strukturen: Niedersachsen belegt bei einer Länderstudie über die Umweltverwaltungen den bundesweit letzten Platz. Umweltminister Minister Sander (FDP) habe Kahlschlag betrieben

VON KAI SCHÖNEBERG

Die Analyse von Christian Hey ist niederschmetternd: „Das ist die schlimmste aller Reformen“, sagt der Generalsekretär des Berliner Sachverständigenrates für Umweltfragen. In einem 470 Seiten starken Gutachten hat der Umweltrat den Umbau der Umweltverwaltungen in 16 Bundesländern von sieben Universitäten vergleichen lassen. Fazit der soeben erschienen Untersuchung, die der taz vorliegt: Schlusslicht ist eindeutig Niedersachsen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und vor allem sein umstrittener FDP-Umweltminister Hans-Heinrich Sander hätten den Umweltbehörden das Rückgrat zerschlagen, urteilt die Studie. „Die Umweltverwaltung ist durch politisch motivierte Reformen substanziell geschwächt, die Landwirtschaft zu Lasten des Naturschutzes gestärkt worden“, sagt Generalsekretär Hey.

Alle Bundesländer haben in den vergangenen Jahren bei der Umwelt drastisch gespart und umstrukturiert: Allein im ebenfalls schwarz-gelb regierten Baden-Württemberg waren von den Reformen in dem Bereich 450 Behörden und Ämter betroffen: „Dort wurden die Kompetenzen allerdings konzentriert“, sagt Hey. „In Niedersachsen wurden sie zerstreut.“

Statt kleinerer Schleifarbeiten wie anderswo ging Niedersachsen zum Kahlschlag über – und das bereits zu SPD-Regierungszeiten. Sank die Personalstärke in der gesamten Verwaltung des Landes seit 1995 um 16 Prozent, waren es im Umweltbereich 46 Prozent. 2005 waren hier noch 1.450 Mitarbeiter tätig. „Seitdem ist es nicht besser geworden“, sagt der Bochumer Verwaltungswissenschaftler und Mitverfasser der Studie, Falk Ebinger. In den vergangenen zwei Jahren habe der Umweltbereich erneut „gravierende Kürzungen“ erlitten: Zum Schaden der Naturperlen im Land: Wattenmeer, Harz oder Heide, Flora und Fauna im Land sind ins Hintertreffen geraten, meinen die Experten.

Dazu kommt die von Sander verfügte Umstrukturierung: Zuschüsse an Verbände wurden gestrichen, Umweltexperten aus Bezirksregierungen und Landesamt für Ökologie (NLÖ) bei der Auflösung in den Ruhestand geschickt. Die Folge: Mangelnde Expertise. „Die Aufgabenwahrnehmung kann nur noch selektiv erfolgen“, sagt Ebinger. Seit der Abschaffung der Bezirksregierungen vor zwei Jahren bekamen die nun zuständigen Landräte und Bürgermeister zwar für ihre neuen Aufgaben Geld, können es aber nach Gutdünken verteilen: „Die Aufgaben, die die Bürger und Honoratioren gestört haben, werden zurückgefahren“, sagt Ebinger. Wegen „falsch verstandener Wirtschaftsfreundlichkeit“ werde Umweltschutz so häufig zur Last: Die nun für die Überschwemmungsgebiete zuständigen Lokalen hätten im Jahr 2005 kein Einziges ausgewiesen.

Auch die Schuld für die verzögerte Reaktion der Niedersachsen beim Elbe-Hochwasser 2006 liegt laut Umweltrat im Ende der Bezirksregierungen. Den Ländern am Oberlauf des Flusses hätten Ansprechpartner wie die einst zuständige „Mittelbehörde“ gefehlt, Sanders Ministerium habe mangels Experten „erst beim Bundesamt für Gewässerkunde nachfragen müssen“, um die „Hochwassermeldungen der Oberanlieger richtig interpretieren zu können“, heißt es in der Studie.

Der für das NLÖ neu geschaffene Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz könne das entstandene „Vakuum“ im Umweltschutz nicht füllen. Das alte Landesamt sei zwar wegen seiner Auflagen in der Landwirtschaft „verhasst“ gewesen, aber dessen Zerschlagung werten die Autoren auch als „Vergeltung“ Sanders – er ist von Beruf Landwirt.

„Die Umweltverwaltung in Niedersachsen ist schlecht aufgestellt“, sagt der Grüne Hans-Albert Lennartz. Neue Aufgaben für die Gewerbeaufsicht hätten „eine Behördenlandschaft erzeugt, die den Interessen der Industrie manchmal willfährig ausgeliefert“ sei. „Die Wissenschaft bestätigt unsere Befürchtungen“, sagt Hans-Dieter Haase (SPD). „Die Qualität des Umweltschutzes ist im Sinkflug. Das Traurige: Herr Sander wird mit seinem 16. Platz zufrieden sein.“

Stimmt. „Die Umweltverwaltung ist mit ihrer neuen Struktur schlagkräftiger und moderner geworden“, sagt seine Sprecherin. „Wir orientieren uns nun stärker an unseren Kunden, der Bevölkerung und dem Wirtschaftsstandort Niedersachsen.“