Medikamenten-Entzug nach Patentstreit

Um Patienten mit preiswerter Aids-Medizin versorgen zu können, setzt sich Thailand über internationale Schutzabkommen hinweg. Als Reaktion zieht der US-Pharmakonzern Abbot Laboratories die Zulassung von wichtigen Medikamenten zurück

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Im Streit um Medizinpatente greift Abbott Laboratories zu einer drastischen Maßnahme: Das US-Pharmaunternehmen hat die Anträge auf Zulassung von sieben neuen Arzneimitteln in Thailand zurückgezogen, darunter auch die weiterentwickelte Version eines Aids-Medikaments. Die thailändische Regierung hatte entschieden, Medizinpatente zu brechen, um die Bevölkerung preiswert mit Medikamenten versorgen zu können.

Für die Kranken könnte die Entscheidung von Abbott fatale Folgen haben. „Unsere Patienten in Thailand warten schon lange auf das neue Aids-Medikament“, sagte David Wilson, der für die Organisation Ärzte ohne Grenzen in Thailand arbeitet. „Mit der Weigerung, das Medikament in den Handel zu bringen, lässt Abbott die Patienten im Stich.“ Der Chef der Aids Access Foundation in Bangkok, Nimit Tienudom, verurteilte die Entscheidung des US-Unternehmens in der Bangkok Times als „beispiellos“: „Abbotts Slogan sollte geändert werden, und zwar von ‚Ein Versprechen fürs Leben‘ in ‚Ein Versprechen für den Profit‘.“

Zur Entscheidung Thailands, Patente auf teure Medikamente zu brechen und dadurch billige Nachahmerprodukte (Generika) herstellen zu können, erklärte Usasinee Rewthong von der Organisation Path: „Wir haben das Recht, so etwas zu tun, wenn es sich um eine nationale Krise handelt.“ Dieser Ausnahmefall, der im WTO-Abkommen über geistige Eigentumsrechte vorgesehen ist, sei bei der Krankheit Aids gegeben, sagte die Aktivistin zur taz. Auch wenn Thailand aufgrund seiner Wirtschaft und seines Aktienmarktes als aufstrebendes Land gelte: Die Mehrheit der Menschen sei arm und könne sich keine teure Arzneien leisten.

Die Boykott-Entscheidung des US-Pharmariesen könnte sich als Bumerang erweisen. „So etwas ist für keinen gut, auch nicht für das Unternehmen, denn es wird den Markt verlieren“, kommentiert Thawat Suntrajarn von der Abteilung für Krankheitskontrolle im thailändischen Gesundheitsministerium.

Der Konflikt, der nun offen ausgebrochen ist, war absehbar: Schon im November, gut zwei Monate nach dem Militärputsch, hatte Thailands Übergangsregierung mit Hinweis auf eine nationale Krise bekannt gegeben, das Patent für das Aids-Medikament Efavirenz des US-Pharmaherstellers Merck zu brechen. Ende Januar beschlossen die Behörden dann entsprechende Maßnahmen auch für Abbotts HIV-Kombinationspräparat Kaletra sowie für den Blutverdünner Plavix von Sanofi-Aventis.

Rückendeckung hatte Thailands Übergangsregierung dabei von verschiedenen Initiativen erhalten, unter anderem von der Hilfsorganisation Oxfam. Diese stellte die Notwendigkeit der öffentlichen Gesundheit vor das Patentrecht. Von Thailands rund 65 Millionen Einwohnern sind offiziell etwa 600.000 mit HIV infiziert. Immerhin rund 85.000 werden mit sogenannten antiretroviralen Aids-Medikamenten behandelt. Noch Anfang Februar hatte Thailands Gesundheitsministerium mit Abbott über Möglichkeiten verhandelt, das US-patentierte Kaletra billiger anzubieten – ohne Ergebnis. Gesundheitsminister Mongkol na Songkhla nahm die jüngste Ankündigung des US-Pharmaherstellers gelassen: „Wir werden Medikamente aus anderen Quellen beziehen können.“

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