Ein guter Tag für Flandern

Heute ist Internationaler Antirassismustag. Die Generalversammlung der UN hat dieses Datum 1966 zum „Internationalen Tag zur Beseitigung der Rassendiskriminierung“ erklärt. Anlass war, dass am 21. März 1960 im südafrikanischen Sharpville eine Demonstration von 30.000 schwarzen Frauen, Männern und Kindern mit Waffengewalt am friedlichen Protest gehindert wurde. Es starben 69 Menschen bei der Antiapartheiddemo.

In vielen Städten Deutschlands wird deshalb die Woche gegen Rassismus abgehalten. Termine und Veranstaltungen finden sich unter www.interkultureller-rat.de.

AUS SINT NIKLAAS DANIELA WEINGÄRTNER

Wouter van Bellingen ist mal wieder spät dran. Auf dem Weg zum nächsten Termin stürmt der groß gewachsene Mann mit der kantigen Designerbrille und dem roten Pullover über den Rathausplatz von Sint Niklaas in Ostflandern. Schon wieder klingelt sein Handy. Diesmal ist Al Jazeera dran, sie wollen einen Film über ihn drehen.

Die Händler an den Marktständen grüßen Wouter van Bellingen. Fast jeder in dem 70.000-Einwohner-Ort kennt den 34-jährigen Politiker, der von klein auf hier lebt und lange Zeit in der Stadtverwaltung gearbeitet hat. Bei der Kommunalwahl im Oktober hat van Bellingen für seine nationalliberale Partei Spirit ein gutes Ergebnis geholt und ist seitdem Flanderns erster schwarzer Stadtdezernent. In den internationalen Schlagzeilen aber ist er erst seit Januar. Da wurde Sint Niklaas zu der Stadt, in der sich drei Brautpaare geweigert hatten, sich von ihm, dem Standesbeamten mit schwarzer Hautfarbe, trauen zu lassen. Schnell verbreitete sich die Geschichte über die Nachrichtenagenturen in alle Welt.

Trotzdem muss die Arbeit weitergehen. Bei der Saint-Vincent-Gesellschaft warten die ehrenamtlichen Helfer auf den Lokalpolitiker. Er soll sich ein Bild von ihrer Arbeit machen, die Stadt will vielleicht Mittel für einen zusätzlichen Lagerschuppen bewilligen. Kekse, Tütensuppen, Birnen und Salat – Ausschusswaren aus Supermärkten und vom Großmarkt – sind säuberlich aufgestapelt, später werden sie an bedürftige Familien verteilt.

Allein 40.000 Salatköpfe würden im Großmarkt weggeworfen – dreimal pro Woche, erzählt der Gemeindepfarrer empört. Van Bellingen zuckt die Achseln: „Das kommt eben heraus, wenn die Politik von Bürokraten in Brüssel gemacht wird.“ Ginge es nach ihm und seiner Partei Spirit, würde Flanderns Landwirtschaftspolitik vor Ort gemacht. Mehr politische Unabhängigkeit für die Regionen fordert das Parteiprogramm.

Die Antwort ist ein großes Fest

Zur selben Zeit bringt Magdalena Vogt in Essen ihr bestes Kleid zur Reinigung. Ein paar Kilometer von Sint Niklaas entfernt ist sie aufgewachsen, seit mehr als dreißig Jahren lebt sie mit ihrem deutschen Ehemann im Ruhrgebiet. Ihre 27-jährige schwarze Adoptivtochter ist ruandischer Abstammung – wie van Bellingen. „Ich hab in der Zeitung gelesen, was es für ein Theater gab in Sint Niklaas.“ Deshalb hat sie an Bürgermeister Freddy Willockx geschrieben, um ihre Solidarität mit seinem schwarzen Dezernenten zum Ausdruck zu bringen.

Hunderte, die im Radio oder in der Zeitung von dem „Theater“ gehört hatten, haben das auch getan. Van Bellingen wurde überschüttet mit Mails und Anrufen. Und so entstand die Idee, den Rassisten nicht mit Protestgeschrei zu antworten, sondern mit einem großen Fest, bei dem sich so viele Paare wie möglich symbolisch das Jawort geben. Es müssten endlich mal positive Nachrichten aus Flandern kommen, meint der Stadtverordnete: „Wir müssen zeigen, dass wir viele sind.“

Im Rathaus von Sint Niklaas laufen die Vorbereitungen für die große Gemeinschaftshochzeit auf Hochtouren. Eine Fotowand wird vorbereitet, man sieht Hochzeitspaare aus aller Welt. Gerade ist ein Fliesenleger dabei, eine Fliese aus dem neuen Fußboden im Eingangsbereich zu hebeln. Hier soll ein „Schmetterling“ eingesetzt werden, das Symbol der flämischen Bewegung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Auch Magdalena Vogt wird heute mit Ehemann und zwei Schwestern in Sint Niklaas ankommen. Sie wird ihr Kleid tragen, einen Hochzeitsstrauß dabeihaben und einen schönen Hut tragen. Ihr Mann bekommt eine Schleife ans Revers. Unter www.sintniklaasgaatvreemd.be haben sie sich angemeldet – wie 600 weitere Paare. Vielleicht kommt die flämische Gemeinde damit ins Guinnessbuch der Rekorde, als Stadt mit der größten Gemeinschaftstrauung und dem buntesten Hochzeitsfoto und dem längsten Dessertbuffet. Auch die Vogts bringen eine Nachspeise mit. Doch den Freunden und Mitarbeitern von van Bellingen geht es nicht um Rekorde. Es geht darum, den ramponierten Ruf der Gemeinde wieder herzustellen.

Persönlich kann der aus Ruanda stammende Flame die Zurückweisung durch die Heiratskandidaten als eine unter vielen verbuchen. Hänseleien und Demütigungen ist einer gewohnt, der seine Kindheit als schwarzer Junge in Flandern verbracht hat. Auch seine beiden Kinder bringen manchmal hässliche Spottlieder und Geschichten aus der Schule mit. „Aber wo in Europa ist das denn anders?“, fragt er. „Bei Ihnen in Deutschland vielleicht?“ Überrascht hat ihn allerdings die große Solidarität. In Sint Niklaas ist die Lust aufs Heiraten rapide gestiegen: In seinem zweiten Amtsmonat wollten 30 Paare von ihm getraut werden – doppelt so viele, wie sich sonst im Februar das Jawort geben.

Um Wouter van Bellingens Dienste offiziell in Anspruch nehmen zu können, muss man in Sint Niklaas wohnen. Umgekehrt bedeutet das: Wer nicht von ihm getraut werden will, muss umziehen, seine Heiratspläne aufgeben oder sechs Jahre warten und hoffen, dass er bei der nächsten Kommunalwahl nicht wieder antritt. Womöglich aber spült der ganze Trubel van Bellingen schon vorher die Karriereleiter hinauf, fort aus Sint Niklaas. Im Juni wählt Belgien ein neues Parlament. Viele seiner Nachbarn gehen inzwischen davon aus, dass auf ihren Wouter auf der gemeinsamen Liste von Spirit und Sozialisten ein guter Listenplatz wartet.

Das will Wim Verreycken vom rechtsnationalen Vlaams Belang gern glauben. Die ganze sogenannte Affäre sei ja ohnehin nur raffiniertes politisches Kalkül, behauptet er. Auf der Treppe des mittelalterlichen Rathauses von Sint Niklaas lässt der ältliche Grandseigneur, gekleidet in Janker und braune Cordhose, die Sonne auf seinen silberblonden Locken spielen und erläutert die – aus seiner Sicht – wahren Hintergründe der geplanten Riesenfete: „Im Juni haben wir hier Parlamentswahlen. Wo sind denn diese Brautleute, die van Bellingen wegen seiner Hautfarbe abgelehnt haben? Die hat sich unser sozialistischer Bürgermeister doch ausgedacht.“ Andernfalls solle Freddy Willockx sie anzeigen, Rassismus sei schließlich in Belgien verboten.

Verreycken sitzt für den Vlaams Belang im Stadtrat von Sint Niklaas und im belgischen Senat. In einem Infoblättchen seiner Partei schrieb er kürzlich: „Mit aller Deutlichkeit: Die Hautfarbe eines Stadtverordneten ist für mich vollkommen bedeutungslos. Wer deshalb einen anderen Standesbeamten verlangt, kann nicht auf meine Unterstützung rechnen. Van Bellingen ist für uns ein Flame unter Flamen. Er spricht besser flämisch als die ganze königliche Familie zusammen.“

„Und was ist mit den anderen?“

Es sind solche Sätze, über die Pat de Buck sich mächtig aufregt. „Wenn einer so gut integriert ist wie Wouter, dann haben sie nichts dagegen, dass er in Flandern lebt. Was aber ist mit den anderen, die nicht hier aufgewachsen sind, die vielleicht nicht mal gültige Papiere haben?“ Zusammen mit seiner Frau Kristien Samson hat er sich für die symbolische Hochzeit angemeldet, wie über hundert andere Paare aus Sint Niklaas auch. Pat und Kristien wohnen in einem Vorort, umgeben von Schafweiden. Lederkissen und Schnitzereien im Wintergarten erinnern daran, dass die beiden lange in Afrika gelebt haben.

Hat die symbolische Hochzeit auch eine persönliche Bedeutung für sie beide, ist es eine Bekräftigung ihres Eheversprechens? Sie lachen sich an. Dann antwortet er: „Ich bitte Sie, wir haben fünf Kinder.“ Schließlich, ernster: „Eine Hochzeit ist eine Aussage gegenüber der Gesellschaft. So ist es auch bei dieser symbolischen Hochzeit.“

Kristien ist Lehrerin und beobachtet sowohl bei ihren Kollegen als auch bei manchen Vorschulkindern Unsicherheit, mitunter Angst vor Schwarzen. In Sint Niklaas sei der ultrarechte Flügel besonders stark, sagt sie. Im Oktober haben bei der Kommunalwahl 27 Prozent Vlaams Belang gewählt.

Auch Pat vermutet, dass van Bellingens Partei Spirit durch die Aktion Rückenwind bekommt. „Natürlich wird das Wouter politisch nützen. So was gehört nun mal zum Spiel. Aber der Ausgangspunkt der Aktion war nicht parteipolitisch – seine Freunde wollten etwas für ihn tun. Ein Ausdruck von Zivilcourage im besten Sinn – und eine wunderbare Idee.“

Das findet auch Simonne Maes. In den letzten Wochen stehen immer frische Blumen auf ihrem Wohnzimmertisch. Die Nachbarn bringen sie, um ihre Sympathie und Solidarität mit Wouters Adoptivmutter auszudrücken. Wie ein „Kassetje“ komme sie sich vor, wie eine Endlosschleife, die zu jedem Journalisten sagt: Ja, sie sei stolz auf ihren Sohn, sehr stolz sogar.

Die Hautfarbe war unwichtig

Wouter, der neben ihr sitzt, verdreht die Augen, bis fast nur noch das Weiße darin zu sehen ist. „Ich kann es nicht mehr hören. Jeden Tag fragt mich jemand, ob ich demnächst Minister in Brüssel werde.“ Dabei habe eigentlich sein Bruder in die Politik gehen sollen, „er ist der Intellektuelle von uns beiden“.

Die Mutter hat den Weg ihrer Kinder vorgezeichnet, als aktive Anhängerin von Spirit und als ehrenamtliche Helferin in der Flüchtlingsarbeit. Ob es zum Engagement dazu gehört, dass eins der vier Adoptivkinder halb asiatisch und halb europäisch ist, eins halb weiß und halb schwarz, eins ganz weiß und eins ganz schwarz? Sie lacht laut, das gleiche unbekümmerte Lachen, das auch aus ihrem Sohn oft heraussprudelt. „Das war Zufall“, sagt sie, „wir haben nicht vorher gefragt, welche Farbe die Kindchen haben.“

Familie und Politik muss man ihrer Meinung nach auseinanderhalten. Eine Tante und ein Onkel von Wouter sind beim Vlaams Belang – bei Familienfesten wird darüber nie gesprochen, das würde nur Krach geben.

Hat sie manchmal Angst um ihren Sohn, wenn er so im Mittelpunkt steht und zum Symbol oder Hassobjekt für verdrehte politische Ansichten werden könnte? „Ich bin sehr gläubig“, antwortet Simonne Maes. „Den Herrn Pfarrer habe ich gebeten, dass er unseren Wouter in seine Gebete einschließt. Dass nicht ein Verrückter kommt und ihm etwas antut.“