Zähneputzen auf einem Bein

Ein Band der Max-Planck-Gesellschaft erkundet die „Zukunft des Alterns“ in vielen Facetten. Klar ist: Die alten Menschen können ein gutes Leben haben, weil ihnen moderne Technik immer mehr hilft. Doch sie müssen eben auch selbst immer mehr beitragen, um möglichst lange gesund zu bleiben

VON GERT G. WAGNER

„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“ Dieses Goethe-Wort zitierte der spätere Psychologe und international hochgeachtete Alternsforscher Paul Baltes schon in seinem Abituraufsatz. Und es weist auch den Weg zu einem möglichst zufriedenen Altern: „selektive Optimierung“.

Das soll heißen, dass der alternde Mensch auf Anstrengendes wie Fernreisen bewusst verzichtet und stattdessen Körper und Hirn gezielt trainiert. Wenn man etwa die Beinmuskulatur stärkt, kann man auch in hohem Alter noch das Gleichgewicht halten. Das entlastet das Gehirn, sodass man noch genug Kapazitäten zum Nachdenken und Diskutieren frei hat.

Nachlesen kann man dies in Paul Baltes Text „Alter(n) als Balanceakt“. Er ist erschienen in dem Buch „Die Zukunft des Alterns“, das der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Peter Gruss, herausgegebenen hat. Sämtliche Beiträge darin sind allgemein verständlich und auf dem neuesten Stand der Alternsforschung, geschrieben von international renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sie zeigen, wie man den biologischen Abbau im Lebenslauf zunehmend länger beherrschen kann.

Leider konnte gerade Paul Baltes, der die Inspiration zu dem Buch gab, dessen Erscheinen nicht mehr erleben. Er starb nach Drucklegung im Alter von 67 Jahren an einer schweren Krankheit. Dem großen Wissenschaftler, klugen Kollegen und weisen Menschen Paul Baltes sind das Buch und auch diese Besprechung gewidmet.

Der Band umfasst zwölf durchweg dichte und informative, leider nicht immer ganz leicht lesbare Kapitel. Neben Kapiteln, die Überblick geben über die demografische Prognose der Lebenserwartung, Bildung jenseits des 50. Lebensjahrs, soziale Relativität und Politik in der alternden Gesellschaft, beschäftig sich das Buch mit der Evolution des Alterns, dem menschlichen Gehirn und der Molekularbiologie des Alterns, mit alternsbedingten Erkrankungen, neuen Therapiewegen und schließlich – ganz wichtig – der „Technologie im Alter“.

Die spannenden Befunde, die Lebens- und Verhaltenswissenschaften zum Alter gegenwärtig bereithalten, sind ambivalent: Für die bis zu 85-Jährigen sind die Nachrichten gut. Obwohl die Evolution nicht vorgesehen hat, dass wir älter werden, als es nötig ist, um uns um unseren Nachwuchs zu kümmern, hat die Evolution uns höchstwahrscheinlich kein programmiertes Lebensende mitgegeben. Schlicht deswegen, weil sich ein „programmierter Tod“ evolutionsbiologisch für das Säugetier Mensch nicht lohnt.

Deswegen können wir heutzutage bis etwa zum 85. Lebensjahr – mit Glück und bei vernünftiger Lebensweise – recht munter und zufrieden bleiben. Spätestens jenseits des 90. Lebensjahrs liegen aber meist mühselige Jahre. Die Phase der Hochaltrigkeit lebenswerter zu machen ist die künftige Aufgabe einer „Optimierung des Alterns“. Dies ist körperlich alles andere als einfach, da auch das Gehirn von der Alterung biologisch betroffen ist. Aber ein trainiertes Gehirn kann viele körperliche Defizite für eine bestimmte Zeit ausgleichen.

Körperliches Training ist auch wichtig. Es hilft nicht nur deswegen, gut zu altern, weil ein gesunder Körper die Lebensfreude erhöht. Ein trainierter Körper entlastet auch das Gehirn von Koordinationsaufgaben und schafft somit Raum für interessantere Aufgaben. Beim Altern wird etwa aufrechtes Gehen und das Halten der Balance immer schwieriger. Deswegen sollte man sich nicht Muskelpakete antrainieren, sondern durch gezielte Übungen die kleinen Muskeln um die Knöchel herum stärken – etwa durch Zähneputzen auf einem Bein stehend.

Da wir keinen „programmierten Tod“ in uns tragen, besteht Hoffnung, dass wir durch unsere Lebensweise und neue Therapien die Zahl der guten Jahre erhöhen können. Das beginnt mit ausreichendem Schlaf und – leider – bei einem niedrigen Körpergewicht.

Neue Forschungen geben schließlich Hoffnung, das Medikamente möglich erscheinen, die die Alterung aufhalten. Zum Beispiel: Reparatur des Herzens mit Stammzellen nach einem Infarkt und Pillen gegen Alzheimer. Gerade die Verbesserung des Gedächtnisses würde wahrscheinlich wahre Wunder wirken und auch die Kosten der jetzt unfinanzierbar scheinenden sozialen Pflegeversicherung senken.

In den letzten Jahren des Lebens kann künftig eine individuell zugeschnittene Technologie helfen, die schlechter werdenden Gehirnfunktionen zu unterstützen. Beschrieben wird ein Handy, das ein eingebautes Navigationssystem enthält und seine Besitzerin auf Basis eines „Expertensystems“ daran erinnert, wann sie ihre Kinder anrufen und wann sie auf den Friedhof gehen sollte.

Peter Gruss (Hg.): „Die Zukunft des Alterns. Die Antwort der Wissenschaft“. C. H. Beck, München 2007, 331 Seiten, 16,90 Euro