Borderline-Journalismus: Wer hats erfunden?

Einen Konzeptkünstler nennt er sich und hat damit nicht ganz unrecht, wenn er mit Ivana Trump über Philosophie spricht. Das Konzept Tom Kummer und wie er aufgeflogen ist. VON JOHANNA SCHMELLER

"Blow up" heißt die neue Autobiographie von Tom Kummer. Bedeuten kann das: "Aufblasen", "hochgehen lassen" oder "Riesenkrach". Tatsächlich scheint es, als würde das öffentliche Leben des 44-Jährigen aus diesen drei Schritten bestehen: Fälschen. Auffliegen. Eine Lawine der Empörung lostreten.

Der Schweizer wurde mit gefälschten Gesprächen zum "Bad Guy" unter den Autoren. In seinem aktuellen Buch beschreibt er nun, wie er den Borderline-Journalismus nach Deutschland holte. Bekanntlich "pimpte" Tom Kummer in den Neunzigern serienweise Interviews auf, etwa für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und die Berliner Seiten der FAZ. Kummer erfand Texte, Statements, Dialoge und kombinierte sie mit Collage-Elementen aus früheren Gesprächen mit den Stars - die nicht zwingend er selbst geführt hatte.

Der Focus machte im Mai 2000 den Betrug öffentlich.

Es folgte ein publizistischer Orkan, der Ulf Poschardt und Christian Kämmerling aus den Chefsesseln des SZ-Magazins fegte, und ein kollektiver Aufschrei der Medien, dem sich kaum einer der genarrten Leser entziehen konnte. Von Kollegen, die Kummer zuvor bewundert, gar beneidet hatten, wurde der Schweizer nun als Nestbeschmutzer geschmäht. Seither gibt Kummer Tennisstunden. Zu Recht, versicherte man sich gegenseitig - oder?

Kein Wunder, dass Verunsicherung herrscht, denn eines zeigt die wiederholte "Verfehlung" nur zu deutlich: Kummer war und ist ein Überzeugungstäter. Das schmerzt die Kollegen, und dass der selbsternannte "Borderline-Journalist" auf moralinsaure Belehrungen so gar keinen Wert zu legen scheint, tut ihnen sogar richtig weh.

Tom Kummer betrachtet sich lieber selbst im Spiegel, räsoniert, reflektiert, lässt die Erinnerung an Sharon (Stone) und Gwyneth (Paltrow) vorüberziehen. Von Pamela bis Whitney - Kummer hat sie alle "intim" gehabt, seine erfundenen Interviews sind niedergeschriebene feuchte Träume eines Journalisten: Nur einmal, ein einziges Mal mit Ivana (Trump) so über Philosophie, ausgerechnet Philosophie reden können! Mit diesem Tiefgang! Mit so viel Leidenschaft!

Kummer versteht sich als Konzeptkünstler, nicht als Dienstleister, und so ganz Unrecht hat er damit nicht. Er führe einen ohnehin oberflächlichen und durchkomponierten Medienbetrieb ad absurdum, so sieht er es. Möglich. Sicher bediente der "Fall Kummer" aber genau jenes voyeuristische Bedürfnis, das auch Hunter S. Thompsons krudes "Angst und Schrecken in Las Vegas" zum weltweiten Bestseller werden ließ: Der Bildungsbürger hurt nicht, er betrügt nicht, er kidnappt keine arglosen Anhalter und führt sich insbesondere keinen Cocktail aus halluzinogenen Drogen, Medikamenten und bewusstseinserweiternden Dämpfen zu.

Er sieht aber, da aus Überzeugung aufgeschlossen, nicht ungern anderen dabei zu. Und hingucken macht nur Spaß, wenn es die Möglichkeit einer Überraschung, das Risiko des Scheiterns gibt. Allein: Dafür braucht es eben jenen anderen, in Gestalt eines Autors mit - nun ja - Sportsgeist, dessen Lebens- und Arbeitseinstellung auf eine einfache Formel zu reduzieren ist: Es kann klappen. Aber es muss nicht. Tom Kummer hat das verstanden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.