„Schlimmer als ein islamistischer Imam“

Die Entscheidung der Frankfurter Amtsrichterin erregt große Empörung

BERLIN taz ■ „Dieses Ereignis ist schlimmer als das Hinterhofurteil eines islamistischen Imam“, empört sich Lale Akgün, Bundestagsabgeordnete und Islambeauftragte der SPD. „In einem Rechtsstaat gilt das gemeinsame Recht“, sagt sie und bezeichnet den Vorfall als „skandalös“. Denn die Urteilsbegründung wirke sich verheerend auf die aktuelle Integrationsdebatte aus.

„Das Urteil sei „ein verheerendes Signal für muslimische Frauen“, sagte Kristina Köhler, Islamismusexpertin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Es sei „unerträglich und widerlich“, wenn Frauen von einem deutschen Gericht auf ein vermeintliches islamisches Züchtigungsrecht verwiesen würden. Eine Richterin an einem Familiengericht habe sich an das Zivilrecht und nicht an das islamische Recht zu halten.

Auch unter Bundestagsabgeordneten in anderen Parteien wurde das Verhalten der Richterin heftig kritisiert. „Es war gut gemeint, aber eine falsche Toleranz“, meint Wolfgang Wieland (Grüne), „so etwas kannte ich bisher nur aus den Satiren von Henryk M. Broder.

Aber es geht nicht um Broders islamkritischen Bestseller „Hurra, wir kapitulieren“, sondern um die realen verbalen Verfehlungen einer Frankfurter Amtsrichterin. Diese hatte einer aus Marokko stammenden Deutschen eine vorzeitige Scheidung von ihrem Ehemann mit Bezug auf das Züchtigungsrecht im Koran verweigert. Die Frau hatte angegeben, von ihrem Mann mehrfach misshandelt und sogar mit dem Tod bedroht worden zu sein. Für die Richterin war das aber kein Grund, denn für Muslime sei eine körperliche Züchtigung keine unzumutbare Härte.

„In dieser Brisanz haben wir so etwas noch nicht erlebt“, erklärt Christa Stolle von Terre des Femmes. Es habe zwar vereinzelte Urteile gegeben, in denen mit Hinweis auf den anderen Kulturkreis mildernde Umstände für einen Täter berücksichtigt wurden. „Gewalt können wir aber deshalb nicht hinnehmen“, sagt Stolle.

Auch Josef Winkler, migrationspolitischer Sprecher der Grünen, findet: „Für die deutsche Rechtsprechung muss es belanglos sein, was in der Bibel oder im Koran steht.“ „Ein Katholik darf seine Frau schließlich auch nicht nach der Paulus-Empfehlung ‚Das Weib schweige in der Gemeinde‘ behandeln.“

Empört äußerte sich auch der hessische Justizpolitiker Peter Beuth (CDU). „Es darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, der Rechtsstaat könne ein vermeintlich aus islamischem Recht begründetes Züchtigungsrecht – und damit Gewalt an Frauen tolerieren“, sagte der Landtagsabgeordnete.

Auch für die türkischstämmige Frauenrechtlerin Necla Kelek ist es „unfassbar, dass die deutsche Justiz eine solche Begründung aufnimmt“. Die Sozialwissenschaftlerin empört sich besonders darüber das für die Deutschmarokkanerin ein anderes Gesetz gelten soll als für eine deutsche Frau: „Das ist Apartheid. Das Gericht greift die Argumentation der Muslime auf, die sagen: Der Innenbereich, das Private, ist etwas, in das sich der deutsche Staat nicht einzumischen hat und wo wir nach islamischem Recht leben.“ Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sprach von einer „eklatanten Fehlentscheidung einer Richterin“. „Es handelt sich aus meiner Sicht um eine massive Rechtsstaatswidrigkeit, die nicht durch Befangenheit aus der Welt zu schaffen ist“, erklärte der Jurist gegenüber Spiegel Online.

„Gewalt und Misshandlungen gegen Frauen sind auch im Islam ein Scheidungsgrund“, erklärte eine Sprecherin des Zentralrats der Muslime (ZMD). Die Vorsitzende des neugegründeten Zentralrats der Exmuslime, Mina Ahadi, erklärte gegenüber Spiegel Online: „Das Verhalten der Richterin ist ein Skandal, aber leider kein Einzelfall. Wir haben in Deutschland auf der einen Seite die islamischen Organisationen, auf der anderen Seite ein Justizsystem, das mitmacht.“

„So weit sind wir schon“, kritisiert Ralph Ghadban, Islamwissenschaftler an der Evangelischen Fachhochschule Berlin, die Begründung der Amtsrichterin. „Die Scharia findet jetzt über eine Richterin Einlass in die Justiz“, sagt Ghadban der taz und schiebt hinterher: „Nach dem Rechtsverständnis, das sie hier vertritt, sollte die Richterin 80 Peitschenhiebe bekommen.“

TIEMO RINK, CIGDEM AKYOL