Ja oder ja

Erleuchtet und klemmärschig: Spaniens Nationalmannschaft ist ins Hintertreffen geraten, doch Trainer Luis Aragonés will das Team zur EM führen. Am Samstag muss ein Sieg gegen Dänemark her

AUS BARCELONA RONALD RENG

In schwierigen Zeiten wie diesen sucht Luis Aragonés in der dritten Person Singular Unterschlupf. Er spricht über sich selbst, sagt aber ständig unbewusst nicht „ich“, sondern „der Nationaltrainer“. Als ob er so kraft seines Amtes weise, unangreifbar werden könnte; ein höheres Wesen. „Der Nationaltrainer weiß, um was es für uns geht“, sagt Aragonés vor Spaniens wegweisendem EM-Qualifikationsspiel gegen Dänemark am Samstag in Madrid. „Der Nationaltrainer muss“, fährt er fort, doch als er den Satz beendet, weiß jeder, dass mit diesem Nationaltrainer keine höhere Instanz, sondern nur Aragonés selbst gemeint sein kann: „Der Nationaltrainer muss erleuchtet sein, um die Besten zu berufen.“ Solch ein Satz kann nur einem Trainer einfallen.

Blumen im Papierkorb

In der Rolle als Kauz fand Luis Aragonés, 68, bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ein erstauntes internationales Publikum. Damals warf er die Blumen des Empfangskomitees in den nächsten Papierkorb und rief: „Blumen – mir?! In meinen Hintern passt nicht einmal das Haar eines Scampis!“ Allgemein nahm man an, er habe sagen wollen: Blumen seien nur etwas für homosexuelle Männer. Um seine Weltoffenheit zu belegen, führte Aragonés daraufhin an, sein bester Freund sei ein Japaner, der den Geschlechtsunterschied bei Bienen untersuche. Auf dem Trainingsplatz erschien er als Trainer von gestern, der die Trillerpfeife blies und barsch herumbrüllte – an Spieltagen dann offenbarte er sich als Vater einer Elf, die originellen, strukturierten Offensivfußball zelebrierte.

Wie immer nach einer WM verlor das Ausland die meisten Protagonisten aus den Augen. Aber er ist immer noch da, kauzig wie eh und je – wenngleich womöglich in seinem letzten Akt. „Der Moment ist gekommen, wenn es heißt: Ja oder ja“, sagt Aragonés und meint: Sie müssen Dänemark besiegen. Sonst wird die Selección wohl die EM 2008 verpassen, was selbst für diese, für ihr chronisches Stolpern berüchtigte Auswahl ein gigantisches Versagen wäre. Neun Punkte liegt Spanien in seiner Gruppe hinter Schweden, vier hinter Dänemark. Eine Elf, die dank unverbrauchter Begabungen wie Fernando Torres, Xabi Alonso oder Andrés Iniesta die WM trotz der Achtelfinal-Niederlage gegen Frankreich mit einer vorsichtigen Hoffnung namens Zukunft verließ, rennt seitdem rückwärts. Führende Spieler wie Carles Puyol haben den Glauben an Aragonés verloren, „ich weiß, einige stehen nicht hinter dem Nationaltrainer“, sagt der Trainer. Seelenlose Auftritte wurden mit Niederlagen gegen Schweden, Rumänien und gar Nordirland entlohnt. „Unser geliebter Alptraum“, taufte das Sportblatt As die Elf.

Ein normaler Nationaltrainer müsste davon ausgehen, dass ihn ein Verlustgeschäft gegen die Dänen das Amt kosten würde. Aber dies ist Luis Aragonés. Er scheiterte schon einmal daran, zurückzutreten. Im September, zwei Tage nach dem peinlichen 2:3 in Nordirland, erschien Aragonés beim spanischen Fußball-Verband, um aufzugeben. Ein Verbandssprecher sagte, der Präsident Ángel María Villar habe aber keine Zeit gehabt, den Trainer zu sehen. Aragonés verkündete dann seinen Rücktritt den Medien, ohne mit Villar gesprochen zu haben. Acht Stunden danach meldete sich Aragonés erneut: „Die lassen mich nicht gehen.“ Dann bleibe er halt doch.

Endlich Kontinuität

Jene absurde Situation gab ein präzises Bild der Zustände unter Präsident Villar. Er wird der Korruption beschuldigt. Doch dieses eine Mal traf Villar eine prinzipiell richtige Entscheidung: an Aragonés festzuhalten. Denn wenn die Selección etwas verzweifelt braucht, dann endlich Kontinuität. Seit 2000 wechselten alle zwei Jahre Trainer, Stil, Spieler. Spanien war dabei, ein einziger, ständiger Neuanfang zu werden. Die Weigerung, Aragonés zurücktreten zu lassen, war ein Zeichen gegen diesen Trend. Das Problem ist nur, dass Aragonés alles ist, nur nicht kontinuierlich in seiner Arbeit.

Er ist ein glänzender Analyst, er erkennt so viel im Spiel, er hat so viele Ideen – und das Problem, dass er sie alle umsetzen will. So ist für ihn fast jede Partie ein Neuanfang, mit anderer Formation, anderen Akteuren. Auch das aufsehenerregende 4-4-3-System der WM mit Vorfahrt für elegante Ballspieler ist keine Konstante geworden. Dabei hat er auch tapfere Entscheidungen getroffen, wie die stagnierenden Hätschelkinder der Madrider Presse, Rekordtorschütze Raúl und Guti, auszuladen. Mit seinen permanenten Änderungen, gut oder schlecht, hat Luis Aragonés bis heute jedoch nur eines erreicht: „Die Mannschaft steht immer noch da, wo ich sie vor zwei Jahren übernommen habe.“ Er spricht nun in der ersten Person, aber noch immer so lakonisch, als gehe es um einen anderen: „Ich habe nichts Wichtiges geleistet.“ Und der Kauz macht dazu ein Gesicht, als ob ihn nichts jucken könnte; nicht einmal das Haar eines Scampis im Hintern.