In Gaza verrotten tausende Tonnen Obst

Um die palästinensische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, müssten täglich 150 Lastwagenladungen den Gaza-Streifen verlassen. Damit der Export palästinensischer Agrarprodukte gesteigert werden kann, werden offene Grenzen benötigt

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Nicht der Boykott der USA und Europas ist es, der die Wirtschaft im Gaza-Streifen und Westjordanland in die Knie zwingt, sondern das israelische Einfrieren der palästinensischen Zoll- und Steuergelder, die rund drei Viertel des gesamten Haushaltes ausmachen. Ein weiterer Faktor sind die israelischen Reise- und Transportsperren.

Nur fünf Prozent der exportfähigen Agrarprodukte können tatsächlich ausgeführt werden. Ein kleiner Teil kann noch auf dem lokalen Markt gehandelt werden, der Rest wird verschenkt oder vernichtet. Schon in der ersten Saison nach dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen im Sommer 2005 verrotteten, Angaben der PEDC (Palestinian Economic Development Company) zufolge, 12.000 Tonnen Früchte, weil sie nicht zu den Märkten gelangten.

Das Palästinensische Handelszentrum „PalTrade“ veranschlagte die Exportverluste aufgrund geschlossener Grenzen oder Transportverzögerungen im ersten Quartal 2006 auf über 30 Millionen US-Dollar. Dabei hatten noch im November des Vorjahres Israel und die Palästinenserbehörde infolge europäischer Vermittlung das „AMA“-Abkommen („Agreement on Movement and Access“) unterzeichnet, das den Warentransport und Reisemöglichkeiten zwischen Gaza-Streifen und Westjordanland und Ägypten ermöglichen sollte.

Der gesamte Im- und Export aus dem Gaza-Streifen führt über den Grenzübergang Karni. Nach einer Veranschlagung der Weltbank müssten mindestens 150 Lastwagenladungen täglich den Gaza-Streifen verlassen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Der Tagesdurchschnitt jedoch liegt bei nur 15 Lastwagen. Tatsächlich bleibt der Übergang „aus Sicherheitsgründen“, wie die israelische Armee begründet, oft tagelang geschlossen.

Erst diese Woche kam es zu einem Angriff unweit des Übergangs, bei dem ein israelischer Zivilist verwundet wurde. Die Hamas übernahm dafür, trotz erklärter Waffenruhe, die Verantwortung. Das kam Israels Premierminister Ehud Olmert als Rechtfertigung zupass: Er hatte schon vor über drei Monaten gegenüber Palästinenserpräsident Mahmud Abbas versprochen, sich für erleichterte Prozeduren einzusetzen, um die tägliche Zahl auf 400 Lastwagen zu steigern – das aber ist bis heute nicht passiert. Die noch immer praktizierten Kontrollen zwingen die aus dem Gaza-Streifen kommenden Lastwagenfahrer dazu, ihre Ware komplett abzuladen. Kartoffelsäcke oder Orangenkisten werden dann einzeln durchleuchtet und anschließend auf israelische Lastwagen aufgeladen. Ein Vorgehen, das zu langen Wartezeiten führt.

In guter Absicht, Streit und Gedränge zu verhindern, organisierten die Israelis ein Anmeldesystem, das die Reihenfolge innerhalb der Warteschlangen ordnen sollte. Das Ergebnis ist, dass gewitzte Lastwagenfahrer ihre langfristig reservierten Plätze an andere Firmen, die vergängliche Ware transportieren, für hohe Summen verkaufen. „Das einzige israelisch-palästinensische Joint Venture, das funktioniert, ist das der Mafias an den Grenzübergängen“, meint Bassim Khoury, Präsident des Palästinensischen Industrieverbandes.

Während für die israelischen Lastwagenfahrer, deren Ladung bei der Einreise nicht kontrolliert wird, keine zusätzlichen Kosten entstehen, müssen die Palästinenser mitunter tausende Euro an die Transportfirmen bezahlen. „Der Transport einer Lastwagenladung von Gaza nach Ramallah kostet mehr als die Verschickung nach China oder nach Australien“, resümiert Khoury.

Ein gemeinsam von PalTrade und dem Schimon-Peres-Friedenszentrum in Tel Aviv erstelltes „Modell für sicheren und florierenden Handel“ fordert die Einrichtung einer „Konvoiverbindung“ zwischen den beiden palästinensischen Landstreifen. Die Idee ist nicht neu. Ende der 90er-Jahre blieb für eine kurze Weile die sogenannte Transferstraße für den privaten und Handelsverkehr offen. Nötig sei außerdem ein zweiter Übergang, über den Waren und Personen den Gaza-Streifen verlassen können, sowie die Öffnung zur Welt – in Form eines Seehafens und des Wiederaufbaus vom Jassir-Arafat-International-Airport im südlichen Gazastreifen.