Ohne Recht und Verstand

Ob „Rocker“, alkoholtrinkende Jugendliche oder „TOP-Täter“: Die Datensammelwut der Polizei kennt keine Grenzen. Wer was wo speichert, ist oft unklar. „Absolut unzulässig“, urteilt der Datenschützer

Bei der Online-Anmeldung von Kraftfahrzeugen werden die Daten unverschlüsselt ans Stadtamt übertragen. Abhilfe ist erst für Sommer versprochen. Weil er seinen Zugriff auf das Melderegister für persönliche Zwecke nutzte, hat ein Feuerwehrbeamter ein Disziplinarverfahren am Hals. In einem Bremer Krankenhaus hing die Liste der Psychiatrie-PatientInnen und ihrer BesucherInnen für alle einsehbar auf dem Flur. Bei der Razzia im „Stubu“ brachte die Polizei Ende August mehrere hundert Diskogäste ins benachbarte Finanzamt. Das versprach für die Zukunft „noch höhere Sensibilität“, beteuerte aber, alle steuergeschützten Daten zuvor weggeschlossen zu haben. SIM

VON ARMIN SIMON

Bei der Speicherung von personenbezogenen Daten missachtet die Bremer Polizei regelmäßig Gesetze und Datenschutzvorschriften. Diesen Vorwurf erhebt der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Sven Holst, in seinem gestern vorgestellten Jahresbericht. So würden oftmals Daten weit über das zulässige Maß hinaus erhoben, wer auf die Dateien zugreifen oder dort Einträge verändern darf, sei häufig völlig unklar.

Negativ-Beispiel Nummer eins war etwa die Datenbank „TOP-Täter“, die die Bremer Polizei im Jahr 2005 einrichtete. Eingetragen werden sollten so genannte „Intensivtäter“ – Kriterien dafür, was einen solchen ausmacht, legten die Ordnungshüter allerdings keine fest. „Jeder normale Tatverdächtige konnte in die Liste geraten“, sagte Holst. Dafür war der Datensatz, der für jeden Eintrag angelegt wurde, umso umfangreicher: neben Angaben über Ex-LebenspartnerInnen und FreundInnen, sämtlichen begangenen Ordnungswidrigkeiten, der Höhe der bezogenen Sozialleistungen und deren Auszahlungsterminen hielt die Polizei auch Vermutungen zur Motivlage, ethnischen Herkunft, Glaubensrichtung und Wertevorstellungen fest. Derlei Daten zu erheben und zu verarbeiten sei „bedenklich bis absolut unzulässig“, urteilte Holst.

Schlimmer noch waren die möglichen Folgen eines Eintrags. Benutzt werden sollte die Datei nämlich insbesondere für so genannte „Gefährderansprachen“, dem Konzept nach bevorzugt in der eigenen Wohnung oder ähnlichen Rückzugsräumen – „um in die Intimsphäre gelangen zu können“, wie die Polizei festhielt. Auch sollten die „Ansprachen“ bewusst vor Dritten, etwa LehrerInnen oder Geschwistern, erfolgen. Von „an den Pranger stellen“ spricht Holst: „Das ist ein Ansatz, der weder vom Polizeigesetz noch von der Strafprozessordnung her zulässig ist.“ Nach Intervention des Landesdatenschutzbeauftragten teilte die Polizei Ende November mit, dass sie die Datenbank komplett gelöscht habe. Sie galt, so heißt es, auch intern als unbrauchbar.

„Unkanalisiert weitere Anmerkungen“ eintragen können PolizeibeamtInnen allerdings immer noch in der Datei „Türsteher/Rocker“. „Der Zweck der Datei“ sei „unklar“, monierte Holst, die von der Polizei angeführten Rechtsgrundlagen für die Datenerhebung „nicht zutreffend“, deren „Erforderlichkeit für die Sachbearbeitung nicht erkennbar“. Noch im Dezember 2006 hatten nicht berechtigte Mitarbeiter Zugriff auf die Daten, wer wann was dort eintrug oder auslas, wurde nicht protokolliert. Ähnliche Defizite fand Holst auch bei der Datei „Jugend ohne Promille“, in der auffällige Jugendliche in Zusammenhang mit alkoholbedingten Gewalttaten erfasst werden sowie in der Datei „Hafensicherheit“.

Das Datenschutzgesetz verlangt für jede Sammlung personenbezogener Daten ein detailliertes Datenschutzkonzept inklusive „technisch-organisatorischer Maßnahmen“ wie Zugriffssperren und Passwortschutz. Mit der zehn Punkte umfassenden Checkliste hierzu habe aber nicht nur die Polizei Schwierigkeiten, sagt Holst. Auch anderen Bremer Behörden gehe es in erster Linie darum, Datenbanken und Software zum Laufen zu bringen. Die Belange des Datenschutzes müssten dann mühsam „nachgebessert“ werden.