Staatsanwalt vertraut weiter den Neonazis

Nach mehr als 100 Tagen hat das Landgericht die Untersuchungshaft von Matthias Z. beendet. Der 21-Jährige saß aufgrund von Aussagen zweier Neonazis im Knast. Staatsanwaltschaft legt gegen die Entlassung Beschwerde ein

Genau 101 Tage saß Matthias Z. aus Treptow in Untersuchungshaft. Vergangenen Freitag kam der 21-Jährige frei. „Dieser Schritt war längst überfällig“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linkspartei). Zusammen mit der Berliner Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch und Politikern der Grünen hatte sie sich in den vergangenen Wochen für seine Freilassung starkgemacht. Außer den Aussagen zweier Nazis habe es keine stichhaltigen Beweise gegen Matthias Z. gegeben, sagte Dagdelen – weder für eine Tatbeteiligung noch für den ihm angelasteten „versuchten Totschlag“.

Dem 21-Jährigen wird vorgeworfen, im November im Lichtenberger Weitlingkiez zwei szenebekannte Neonazis verprügelt zu haben. Obwohl die Angreifer vermummt waren, behaupten die Neonazis, Matthias Z. erkannt zu haben – auf Grundlage von Fotos von Antifas, die sie zuvor geknipst und archiviert hatten. Landeskriminalbeamte glaubten den Rechtsextremisten und nahmen Matthias Z. am 12. Dezember in Untersuchungshaft. Vergangene Woche folgte die Anklage wegen „versuchten Totschlags“.

Am Freitag lehnte ein Richter des Landgerichts die Klage jedoch ab. Die UnterstützerInnengruppe von Matthias Z. reagierte erfreut: Die Aussagen der Neonazis und ein Foto aus ihrer Anti-Antifa-Kartei hätten nicht ausgereicht, „um das äußerst gewagte juristische und politische Konstrukt ‚versuchter Totschlag‘ noch länger aufrechtzuerhalten“, heißt es in einer Presseerklärung. Der Vorwurf wurde auf „gefährliche Körperverletzung“ sowie „Verstoß gegen das Waffengesetz“ abgeschwächt.

Michael Grunwald, Sprecher der Staatsanwaltschaft, bestätigte gestern die milderen Vorwürfe. Er teilte jedoch mit, dass seine Behörde bereits Beschwerde eingelegt habe. Vorwürfe, politisch motiviert gehandelt zu haben, hatte Grunwald schon vor einiger Zeit vehement zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft sei nach wie vor der Überzeugung, dass die lange Untersuchungshaft angemessen war, sagte Grunwald.

Ob die Staatsanwaltschaft will oder nicht: Der Fall „Matti“ ist inzwischen ein Politikum in der Stadt. „Der Eindruck, dass es sich hier um politische Justiz handelt, drängt sich mir schon auf“, sagte die Linksparteipolitikerin Dagdelen. Ganz offensichtlich „wiegen bei der Staatsanwaltschaft die Aussagen von Neonazis immer noch schwerer und werden als glaubwürdiger erachtet als davon abweichende Aussagen aus dem vermeintlich linken Spektrum“.

Was den Fall darüber hinaus so brisant macht: Eigentlich ist der 21-Jährige und bekennende Antifaschist selbst Zeuge in einem Verfahren gegen einen der beiden Neonazis. Diesem wird vorgeworfen, im Mai 2006 einen PDS-Stand angegriffen zu haben.

Die Solidaritätswelle, die Matthias Z. inzwischen entgegenschlägt, ist groß. Neben den Linkspartei- und Grünen-Politikern setzen sich linke Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet für ihn ein. Auch der Vorstand der Berliner Jusos erklärte sich „solidarisch mit dem Antifaschisten Matti“. FELIX LEE