„Gewalt unter Gefangenen ist nicht selten“

Die Jugendstrafanstalt werde ihrem erzieherischen Auftrag längst nicht mehr gerecht, klagt ein Jugendrichter

DR. GÜNTER RÄCKE, 46, ist seit siebeneinhalb Jahren Jugendrichter am Amtsgericht Tiergarten und zuständig für Neukölln.

taz: Herr Räcke, Sie und andere Jugendrichter sind bei der Senatsverwaltung für Justiz vorstellig geworden. Was war der Sinn des Besuchs?

Günter Räcke: Wir haben uns Aufklärung darüber erhofft, wie es im Jugendstrafvollzug weitergehen soll. Die Überbelegung dort ist beträchtlich. Sie liegt bei über 25 Prozent. Die Probleme sind immens.

Auf 469 Haftplätze kommen zurzeit 597 Jugendliche. Was hat das für Folgen?

In der Jugendstrafanstalt gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit. Das heißt, viele Jugendliche sind weithin beschäftigungslos. Die Beschulung ist auch ein großes Problem. Nach allem, was ich beobachte und von Kollegen höre, werden die Erfolge eines erzieherischen Einwirkens im Vollzug geringer und geringer. Dazu kommen große Sicherheitsprobleme wegen der personellen Notsituation. In den letzten Jahren gab es massive Stellenstreichungen, außerdem gibt es hohe Krankenstände. Zudem ist unter Sicherheitsaspekten hochproblematisch, dass die Baulichkeiten in der Jugendstrafanstalt sehr unübersichtlich sind.

Was meinen Sie damit?

Ich höre von den Untersuchungshäftlingen, für die ich zuständig bin, dass Gewaltausübung, Körperverletzung und Raubtaten unter den Gefangenen nicht gerade selten vorkommen. Bei manchen geht es noch über das hinaus.

Ist der Jugendknast nicht deshalb so voll, weil es bei den Jugendrichtern einen Trend zu härteren Strafen gibt?

Ich habe keine genauen Zahlen über das Ausmaß der Verhängung von Jugendstrafen. Aus meiner eigenen Rückschau auf die vergangenen Jahre kann ich dazu aber sagen: Die Massivität der Straftaten hat beträchtlich zugenommen. Früher wurde der Straßenraub in der weitaus größeren Zahl der Fälle ohne Waffen verübt. Jetzt beobachten wir, dass schon sehr junge Täter so massiv mit Gewaltstraftaten in Erscheinung treten, dass häufig bereits beim ersten Mal eine Jugendstrafe erforderlich ist, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Außerdem werden Bewährungszeiten immer seltener durchgehalten.

Endlich hätten die Jugendrichter kapiert, dass man Gewalttätern nicht mit Streichelurteilen kommen kann, hat SPD-Innensenator Ehrhart Körting neulich im Parlament gesagt.

Schön, wenn ihn das freut. Es wäre nur auch hilfreich, wenn der Senat auch dafür sorgt, dass die Jugendlichen in den Haftanstalten vor Straftaten gesichert sind. Schließlich hat der Staat eine Aufsichts- und Fürsorgepflicht gegenüber den Gefangenen. Es reicht nicht, dass wir Richter die Jugendlichen in einem überfüllten Knast abliefern. Es muss dort erzieherisch etwas mit ihnen bewirkt werden. So verlangt es das Gesetz.

Wie hat die Justizverwaltung auf die Intervention der Jugendrichter reagiert?

Ich weiß von keiner Reaktion, die das Problem wirklich lösen könnte. Irgendwann soll in Brandenburg die Strafanstalt Großbeeren gebaut werden. Der Termin rückt aber immer weiter in die Ferne.

Inzwischen ist von 2012 als Eröffnungszeitpunkt die Rede.

Ich sehe überhaupt nicht, wie sich die Situation in den Gefängnissen entspannen kann. Jetzt ist ja das Schwellentäter-Konzept der Staatsanwaltschaft fertig …

als Schwellentäter gelten Jugendliche, die mehr als fünf Straftaten auf dem Kerbholz haben. Sie sollen künftig von ein und demselben Staatsanwalt betreut werden, auch durch Hausbesuche …

… aber zur inhaltlichen Arbeit findet sich in dem Schwellentäter-Konzept fast nichts. Das ist eine reine Zuständigkeitsregelung für die interne Arbeitsweise. Ich frage mich, wie ein Staatsanwalt mehrere Schwellentäter betreuen soll, wenn einer in Spandau wohnt, einer in Buch, einer in Köpenick und einer in Kreuzberg oder Neukölln. Ohne „Kiezzuständigkeit“ des Staatsanwalts wird es nicht funktionieren.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE