Die Reform in 10 Minuten

Kein Aprilscherz! Die Gesundheitsreform tritt am Sonntag in Kraft. Was kommt auf uns im Alltag zu? Fragen und Antworten zum Herauspicken

Unmittelbar vor Inkrafttreten der Gesundheitsreform an diesem Sonntag kritisierte Klaus Vater, der Sprecher des Gesundheitsministeriums, „apokalyptische“ Äußerungen der Krankenkassen. Diese Schwarzmalereien, es gebe höhere Beiträge, gehörten „endgültig in den historischen Orkus“. Durch die erste Stufe der Gesundheitsreform zum 1. April werden für gesetzlich Versicherte die Leistungen bei Impfungen, Eltern-Kind-Kuren und bei der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender in den eigenen vier Wänden ausgeweitet. Zudem können Kassen neue Wahltarife mit Selbstbehalten anbieten. Kritik an der Reform kam erneut von der Krankenhausgesellschaft, die zunehmenden Rationalisierungsdruck beklagte. Sie forderte angesichts der derzeit kräftig sprudelnden Steuereinnahmen, den von den Kliniken zu leistenden Sanierungsbeitrag von mehr als 600 Millionen Euro im Jahr 2008 auszusetzen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie bedauerte, die Reform bringe erneute Eingriffe in den Arzneimittelmarkt. DPA

VON ANNA LEHMANN
UND BARBARA DRIBBUSCH

Reformen kosten Geld – wird ab 1. April alles teurer?

Nicht schlagartig. Aber Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wird nicht müde, zu betonen, dass es in Zukunft sicher nicht billiger werde.

Steigen die Beiträge?

Viele Krankenkassen haben die Beiträge bereits zu Jahresbeginn erhöht, und zwar um durchschnittlich 0,64 Prozentpunkte. Verbraucherschützer rechnen aber damit, dass weitere Erhöhungen folgen, denn in zwei Jahren – zum Start des Gesundheitsfonds – sollen alle Kassen ihre Schulden abgebaut haben. Welche Kassen Schulden haben, wüssten die Versicherten auch gern, aber diese Informationen behalten die Kassen für sich.

Lohnt es sich, jetzt noch schnell die gesetzliche Kasse zu wechseln?

„Abwarten“, rät Wolfram Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten. Mit dem Start der Gesundheitsreform werde ein enormer Verdrängungswettbewerb unter den über 250 Krankenkassen einsetzen: „Bei Kassen, die jetzt mit Sonderangeboten werben, weiß man nie, ob sie in einem halben Jahr noch existieren.“

Kann ich nicht einfach zur privaten Krankenversicherung wechseln?

Nein, das wird sogar schwieriger. Ein Wechsel von der gesetzlichen zur privaten Krankenversicherung (PKV) ist nur möglich, wenn das Einkommen die Versicherungspflichtgrenze mindestens drei Jahre lang überschreitet. Die Grenze liegt in diesem Jahr bei 3.975 Euro brutto pro Monat.

Lohnt sich ein Wechsel in die private Krankenversicherung überhaupt?

„Auf keinen Fall“, meint Candidus. „Die Privaten werden die Prämien um 10 bis 20 Prozent anheben.“ Stefan Caspary, Sprecher des Verbands der Privaten Krankenversicherer (PKV), bestätigt Prämienerhöhungen um 10 Prozent. Schuld daran sei der sogenannte Basistarif. Diesen Tarif müssen die Kassen ab 2009 für Nichtversicherte auflegen, und zwar ohne Aufschläge für teure Krankheiten. Für die Privatversicherten heißt das, sie müssen künftig solidarisch sein und die Krankheiten der Mittellosen mitbezahlen.

Kann sich jeder zu diesem Basistarif versichern?

Nein, der Basistarif wird ab 2009 für jene eingerichtet, die keine Versicherung haben und einst privat versichert waren. Auch gesetzlich Versicherte, die die Pflichtgrenze (siehe oben) überschreiten, und Privatversicherte dürfen für kurze Zeit in den Basistarif wechseln, nämlich im ersten Halbjahr 2009.

Wie teuer ist der Basistarif?

Er wird nach Alter und Geschlecht berechnet und darf maximal 500 Euro betragen. Wer dadurch verarmen und unter das Existenzminimum rutschen würde, muss nur die Hälfte zahlen.

Muss ich künftig krankenversichert sein?

Ja. Spätestens ab 1. Januar 2009 muss jeder Einwohner in Deutschland krankenversichert sein – gesetzlich oder privat. Die Versicherungspflicht greift in mehreren Stufen: Ab 1. April 2007 muss jeder zurzeit Nichtversicherte, der zuvor gesetzlich krankenversichert war, zu seiner letzten Krankenkasse zurückkehren. Ab 1. Juli 2007 müssen sich auch nichtversicherte frühere Privatversicherte wieder privat krankenversichern, zumindest zu den Konditionen des neuen Basistarifs.

Können gesetzlich Versicherte mit neuen Tarifen Beiträge sparen?

Ja, zum Beispiel mit Selbstbehalttarifen, die einige Kassen wie AOK und DAK ab Montag anbieten. Damit kann man bis zu 600 Euro pro Jahr sparen – wenn man nie zum Arzt geht. In diesem Tarif verpflichtet man sich, Behandlungskosten bis zu einem gewissen Grad selbst zu tragen – den Selbstbehalt. „Ein gutes Geschäft für Gesunde, ein schlechtes für Kranke“, sagt Florina Lanz vom BKK-Bundesverband.

Welches Risiko gehe ich ein?

Bei Selbstbehalttarifen bindet man sich für drei Jahren an die Krankenkasse und an den Tarif. Man darf die Kasse nicht wechseln, wenn die Beiträge steigen, was normalerweise innerhalb von zwei Monaten möglich ist. Und man darf drei Jahre lang nicht in den Normaltarif zurück, selbst wenn man unvermutet schwer krank wird. Schon nach einem Arztbesuch pro Jahr und zwei Verordnungen aber ist der Bonus weg, und die Zuzahlung beginnt. „Wer nichts macht, macht auch nichts falsch“, meint Thomas Isenberg, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, und rät dazu, sich die neuen Tarife sehr genau anzuschauen.

Gibt es auch neue Wahltarife für Homöopathie oder Pflanzenheilkunde?

Ja, aber das kostet extra. Gesetzliche Kassen können durch die Gesundheitsreform Zusatztarife anbieten, mit denen dann auch Behandlungen etwa aus der Homöopathie, der anthroposophischen Medizin und der Phythotherapie (Pflanzenheilkunde) abgedeckt werden. Auch die Kosten für Arzneimittel aus diesen Therapien werden dann von der Kasse übernommen. Wie hoch diese Zusatztarife ausfallen, haben die gesetzlichen Kassen aber noch nicht festgelegt.

Welche neuen Leistungen bieten die gesetzlichen Kassen an?

Empfohlene Schutzimpfungen und Mutter- oder Vater-Kind-Kuren werden künftig zu Pflichtleistungen in den gesetzlichen Kassen, wenn ein Arzt sie verordnet. Die gesetzlichen Kassen bezahlen außerdem alle Impfungen, die von der Ständigen Impfkommission empfohlen werden, ausgenommen Impfungen wegen Fernreisen.

Die ambulante Versorgung von Schmerzleidenden verbessert sich durch die Gesundheitsreform. Die gesetzlichen Kassen finanzieren eine „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“, die es Schwerstkranken ermöglicht, bis zuletzt zu Hause zu leben. Dabei sollen sie von speziell geschulten Ärzten und Pflegekräften betreut werden.

Ab sofort ist die medizinische Rehabilitation eine Pflichtleistung der gesetzlichen Kassen. Versicherte dürfen die Reha-Einrichtung dabei frei wählen.

Es gibt aber auch Behandlungen, die nicht mehr bezahlt werden, etwa die Entfernung von Piercings oder Tattoos, die immerhin einige hundert Euro kosten kann.

Werden Arzneimittel teurer?

Nein, sie können sogar billiger werden, weil Krankenkassen Rabattverträge mit den Pharmafirmen abschließen dürfen. So können etwa Mitglieder der AOK Baden-Württemberg ab Montag über 600 rezeptpflichtige Medikamente ohne Zuzahlungen bekommen, etwa gegen Diabetes oder Bluthochdruck. Dabei handelt es sich ausschließlich um Generika, also um nachgebaute Arzneimittel.

Kriegen AOK-Versicherte nur noch Billigmedikamente?

„Nein sie kriegen qualitativ hochwertige Medikamente, sie zahlen nur weniger“, sagt Christopher Hermann, stellvertretender Vorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Generika wirken genauso wie Originalpräparate.

Die Leute sollen angehalten werden, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen. Muss ich?

Nein, aber wer als Krebspatient alle Vorsorgeuntersuchungen geschwänzt hat, soll künftig bis zu 2 Prozent des Bruttoeinkommens für Medikamente und Behandlungen zuzahlen. Bisher liegt die Grenze bei 1 Prozent. Aber bisher hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Klinik- und Kassenvertretern noch nicht darauf geeinigt, für welche Krankheiten die Regel gelten soll. „Es gilt weiter: Niemand kann gezwungen werden, zur Vorsorge zu gehen“, so Judith Storf, die als Patientenvertreterin im Bundesausschuss sitzt.

Werden Krankenkassen freiwillige Leistungen wie Yogakurse und Töpfern kürzen?

Das glaube er nicht, sagt Candidus. „Das Angebot wird sogar vielfältiger werden, weil jede Krankenkasse sich von ihren Wettbewerbern abgrenzen will.“ Töpfern in der Toscana und Wellnessurlaub in Bad Füssing werden also weiterhin als freiwillige Leistungen angeboten.