Zu wenig Abwägung mit dem Volkeswillen

Hamburgisches Verfassungsgericht verhandelt über das CDU-Wahlgesetz, das die per Volksentscheid durchgesetzte Wahlrechtsänderung aushebelt. Vor allem die eingeführte „Relevanzschwelle“ sorgt für Bauchschmerzen

Es sieht gut aus für das Hamburger Volk: Nach achtstündiger turbulenter Verhandlung gehen Beobachter davon aus, dass das Hamburgische Verfassungsgericht zumindest Teile des von der CDU-Bürgerschaftsmehrheit durchgesetzten „Wahländerungsgesetz“ für verfassungswidrig erklärt. Mit dem Gesetz war im Oktober 2006 die durch Volksentscheid 2004 beschlossene Volkswahlgesetzgebung mit offenen Listen und Persönlichkeitswahlrecht ausgehebelt worden. „Wir sollten ehrlich sein“, so der Vorsitzende Wilhelm Rapp, „das neue Gesetz ist keine system-immanente Optimierung, dass Volkswahlgesetz ist deutlich geändert worden.“

In zwei parallelen Verfahren, die einerseits die Volksinitiative unter Federführung des Vereins „Mehr Demokratie“ und anderseits die Bürgerschaftsfraktionen der GAL und SPD angestrengt haben, geht es im Wesentlichen um zwei Knackpunkte. Zum einen, ob der Senat gegen die „Organtreue“ verstoßen hat, weil er ein vom Volk verabschiedetes Gesetz geändert hat, obwohl es noch nicht zur Anwendung gekommen ist. Und zum anderen, ob die im neuen Gesetz enthaltene so genannte „Relevanzschwelle“ von 30 Prozent, die eine Veränderung der Listenplätze faktisch ausschließt, obwohl das Panaschieren und Kumulieren bei der Abgabe von Persönlichkeits-Wahlstimmen noch möglich ist.

Die CDU-Senat argumentiert, dass die Bürgerschaft als Verfassungsorgan das Recht habe, das Volkswahlgesetz nach eineinhalb Jahren abzuändern, nachdem es im Gesetzesblatt zunächst ordnungsgemäß verkündet worden war. Dem widerspricht der Ex-Vize-Bundesverfassungsgerichtspräsident Gottfried Mahrenholz, der GAL und SPD vertritt. Selbst in Bayern, wo die Regierung zehn Volksentscheide zu schmerzlicheren Themen kassiert habe, sei es staatsrechtlicher Grundsatz, dem Willen des Volkes zu folgen.

Stattdessen habe die CDU das Volkswahlgesetz gleich nach dem Volksentscheid als „Kannibalismus“ gegeißelt, sagte Mahrenholz. Die Veränderungen wären jedoch nur zulässig gewesen, wenn es triftige Gründe geben hätte, etwa wenn das Gesetz unakzeptabel dem Allgemeinwohl geschadet hätte. Einen dafür zwingend notwendiger Abwägungsprozess zwischen den Verfassungsorganen Bürgerschaft und Volksinitiative sei jedoch durch die Bürgerschaftsmehrheit vereitelt worden.

„Man sagt ja nicht einmal, was Schlimmes passieren kann“, so Mahrenholz. Dem Argument zeigte sich das Gericht zugänglich. Rapp: „Man hat zwar viel, aber nicht miteinander geredet.“ Auch die Richterin Carola von Paczensky fragte: Es würde zwar viel über die Ziele des von der Bürgerschaftsmehrheit beschlossenen neuen Gesetzes geschrieben, aber nirgends würden Gründe stehen, warum diese Ziele nicht auch durch das Volkswahlgesetz erreicht werden könnten.

Probleme hat das Gericht auch mit der Relevanzschwelle. „Wir haben gewisse Bauchschmerzen“, gesteht Rapp. Listen, die „ein bisschen weniger offen“ gewesen wären, hätte das Gericht ja noch nachvollziehen können. Aber in dieser Höhe sei die Hürde nicht zu schaffen.

Die Urteile sollen am 27. April verkündet werden. KVA