„Schwere Niederlage für Ahmadinedschad“

Die Freilassung der 15 britischen Marinesoldaten war eine gute Show des iranischen Staatspräsidenten. Trotzdem sei Ahmadinedschad in Teheran weitgehend entmachtet, meint der iranische Exilpolitiker Abol Hassan Bani Sadr

ABOL HASSAN BANI SADR lebt im Exil in Paris. Er studierte in den 60ern in Teheran Theologie und Wirtschaftswissenschaften und floh 1963 vor dem Schahregime ins Ausland. Nach der Islamischen Revolution 1979 war er Berater von Chomeini und von 1980 bis 1981 Staatspräsident des Iran. Im Juli 1981 floh er vor den radikalen Mullahs ins Exil und wandelte sich vom Anhänger Chomeinis zu dessen entschiedenem Kritiker.

taz: Herr Bani Sadr, hat Sie die Freilassung der britischen Marinesoldaten überrascht?

Abol Hassan Bani Sadr: Eigentlich nicht. Denn ich hatte bereits in den Tagen davor Informationen erhalten, dass es auf die Regierung einen mächtigen Druck gab, die Affäre so rasch wie möglich zu beenden. Außerdem war es der Regierung nicht gelungen, die Bevölkerung von dieser inszenierten Krise zu überzeugen.

Was wollte man überhaupt mit der Aktion erreichen?

Soweit ich weiß, war zwar der iranische Staatspräsident Ahmadinedschad über die geplante Festnahme informiert, aber die Führung der Revolutionsgarden war nicht eingeweiht – geschweige denn Revolutionsführer Ali Chamenei. Offenbar hatten die Initiatoren gehofft, sie nachträglich für die Aktion zu gewinnen. Das gelang aber nicht.

Wurde Ahmadinedschad also zu der Freilassung gezwungen?

Letztlich ja, denn er wollte viel mehr erreichen: Er hatte Großbritannien aufgefordert, sich zu entschuldigen. Seine Anhänger wollten den Briten einen Prozess machen und die Freilassung iranischer Revolutionswächter erzwingen, die sich im Irak in amerikanischer Gefangenschaft befinden. Die bedingungslose Freilassung war für Ahmadinedschad eine schwere Niederlage.

Das sehen viele internationale Kommentatoren anders: Sie finden, der britische Premier Blair stehe nun blamiert da.

Ahmadinedschad hat aus der Freilassung eine gute Show gemacht. Aber das bedeutet nicht, dass er im Iran gewonnen hat.

Was folgt daraus für das Machtgefüge in Teheran?

Mit Ahmadinedschad sollte die Gesellschaft gleichgeschaltet und die Staatsmacht monopolisiert werden. Seine Unterstützer haben jedoch inzwischen ihren Einfluss in der Gesellschaft verloren – und selbst im Regime haben sie kaum noch Rückhalt. Viele Revolutionswächter sind zu Ahmadineschads Rivalen übergelaufen, dem Teheraner Bürgermeister Ghalibaf. Zurzeit wird sogar diskutiert, wie man Ahmadinedschad loswerden könnte.

Was erklärt diesen Sinneswandel?

Das Regime Ahmadinedschad ist nahezu ausgehöhlt, weil es der Bevölkerung nichts mehr zu bieten hat außer Krisen. Vor allem bei den Jugendlichen herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft stagniert, und gleichzeitig explodieren die Preise.

Aber noch wird Ahmadinedschad von Revolutionsführer Chamenei gestützt.

Chamenei steckt in einer Zwickmühle. Falls er Ahmadinedschad fallenließe, müsste er dessen Nachfolger weit mehr Macht zugestehen. Dies würde jedoch Chameneis Macht einschränken und praktisch das Ende des Welajat-i-Fakih, der Herrschaft der Geistlichkeit, bedeuten.

Kann man nicht davon ausgehen, dass Ahmadinedschad die Flucht nach vorn ergreift? Und dabei so weit geht, dass er mit dem Teil der Revolutionsgarden, die ihn noch unterstützt, einen Putsch riskiert?

Eigentlich wird in der Islamischen Republik seit 1981 ständig geputscht. Früher wurde das als „permanente Revolution“ bezeichnet. Aber war für eine Perspektive könnte ein Putsch haben? Ahmadinedschad und seine Anhänger haben doch ihr ganzes Kapital bereits verspielt.

Woran erkennen Sie das?

Der einflussreiche Großajatollah Sanei hat zum Beispiel kürzlich in einem Interview mit Le Monde gefordert, Exstaatspräsident Rafsandschani solle die Macht übernehmen und das Land aus der Krise retten. Diese Aussage ist enorm wichtig. Offenbar verläuft ein tiefer Bruch zwischen der etablierten Geistlichkeit und jenen Kräften bei den Revolutionswächtern und den Milizenorganisation der Bassidschi, die zurzeit die Regierung stellen. Das bedeutet auch, dass Revolutionsführer Chamenei nicht mehr Herr der Lage ist.

Aber Rafsandschani würde doch nur die Regierung übernehmen, wenn er mehr Macht bekäme. Damit würde er den Revolutionsführer völlig an den Rand drängen.

Nicht nur Rafsandschani würde mehr Befugnisse fordern – auch jeder andere, der aufgerufen würde, das Land zu retten.

Was haben wir also für die nächste Zukunft zu erwarten?

Die Gegner Ahmadinedschads setzen alles daran, ihn abzusetzen, falls sie es nicht schaffen sollten, ihn zu neutralisieren, bis seine Amtszeit zu Ende ist. Demgegenüber versuchen Ahmadinedschad und seine Anhänger, die Macht um jeden Preis zu erhalten, indem sie ständig neue internationale Krisen erzeugen. Kein vernünftiges Regime würde fünfzehn fremde Soldaten auf hoher See festnehmen und damit zwei Wochen lang seinen Feinden im Ausland Gelegenheit zu Gegenpropaganda geben.

Was wird nun aus dem Atomkonflikt?

Ich bin überzeugt, dass Iran derzeit nicht die Fähigkeit besitzt, eine Atombombe zu bauen. Auch die Radikalen wissen, dass sie noch weit davon entfernt sind. Warum insistieren sie aber darauf, Uran anzureichern? Weil sie ohne internationale Krisen nicht existieren können. Nehmen wir an, Iran würde die Forderungen des UN-Sicherheitsrats akzeptieren. Dann müsste die Regierung plötzlich Konzepte vorlegen, wie sie interne Reformen durchführen will, um etwa die Wirtschaftskrise zu überwinden. Wäre das Regime dazu fähig, brauchte es die Krisen nicht. Genau hier liegt das Problem.

Wer hat denn jetzt im Iran die Fäden in der Hand?

Niemand und alle. Es sind mafiöse Organisationen am Werk, wovon jede mit allen Mitteln die eigenen Interessen durchsetzen will.

Also kollektive Selbstzerstörung?

Wirtschaftlich steht das Land unter enormem Druck. Die USA, auch die EU-Länder lassen ihre Wirtschaftsbeziehungen zum Iran immer mehr einfrieren. Iran müsste sich, wenn es die Konfliktstrategie fortsetzen will, wirtschaftlich auf größere Sanktionen vorbereiten. Dazu müsste die Inflation gebändigt und der Import stark eingeschränkt werden. Gleichzeitig müssten die Ausgaben stark reduziert werden und noch vieles mehr. Außerdem müsste das Land militärisch in der Lage sein, sich bei möglichen Angriffen zu verteidigen. Doch auch hier fehlt es an allen Ecken und Enden.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr eines militärischen Angriffs durch die USA ein?

Die militärischen Vorbereitungen sind jedenfalls längst getroffen. Jetzt wird jeder Anlass verwendet, um eine entsprechende Kriegsstimmung zu erzeugen. Iran wird dämonisiert und immer mehr zum Objekt des Hasses aufgebaut. Dazu liefert das Regime in Teheran ja auch genug Stoff. Denken Sie an die Verbalattacken Ahmadinedschads oder an die Videoaufnahmen der britischen Soldaten. Das iranische Regime gehört heute zu den meistgehassten in der Welt. Selbst Kriegsgegner lehnen einen Krieg gegen Iran nur noch ab, weil sie die Folgen fürchten.

Wie wird der Krieg gegen den Iran konkret vorbereitet?

Abgesehen vom großen Waffengang am Golf versuchen die USA die arabisch-sunnitischen Staaten gegen das schiitische Iran zu mobilisieren. Außerdem versucht man, Konflikte zwischen den Ethnien im Iran zu schüren. Die feindselige Stimmung wird auch aufgebaut, indem iranische Staatsbürger im Irak und anderswo verfolgt werden. Die Vorbereitungen zum Krieg sind schon sehr viel weiter, als wir wahrhaben wollen.

INTERVIEW: BAHMAN NIRUMAND