Eine Kulturgeschichte: Comeback vor Gericht

Die Ex-Tempodrom-Chefin Irene Moessinger steht heute wegen Untreue vor Gericht. Betrugsvorwürfe gegen sie wurden fallen gelassen. Nun wird ihr vorgeworfen, sich zu viel Salär gegönnt zu haben

Irene Moessinger und ihr Betonzelt Bild: AP

Irene Moessinger hat wieder einen Auftritt - den ersten seit 2005. Es wird, wie zu ihren besten Zeiten auf und hinter der Bühne des Tempodroms, eine sicherlich lebhafte Veranstaltung werden. Denn der Ort für die Performance ist das Moabiter Kriminalgericht. Moessinger und ihr Geschäftspartner Norbert Waehl stehen dort ab heute vor dem Kadi. Auch wenn die Staatsanwaltschaft die wirklich dicken Anklagepunkte, darunter Subventionsbetrug, gegen Moessinger fallen ließ, schwingt doch die Pleite des berühmten Kulturzelts samt Aufstieg und Fall der einstigen Tempodrom-Chefin im Gerichtssaal mit. Ganz zu schweigen vom Rücktritt des Berliner SPD-Vorstands und Stadtentwicklungssenators Peter Strieder, der dem Bau am Anhalter Bahnhof besonders zugetan war.

1. Mai 1980 Die Krankenschwester Irene Moessinger hat geerbt und kauft ein Zirkuszelt: Das Tempodrom entsteht auf dem Potsdamer Platz.

1984 Umzug des alternativen Veranstaltungszirkus in den Tiergarten.

1992 Der Bund beschließt: Der Standort in Nachbarschaft zum Kanzleramt muss geräumt werden.

Mai 2000 Baubeginn des neuen Tempodroms. Senator Peter Strieder (SPD) legt den Grundstein am Anhalter Bahnhof

Dezember 2001 Eröffnung. Die Kosten haben sich auf rund 33 Millionen Euro erhöht.

Februar 2003 Das Abgeordnetenhaus stoppt jeden weiteren Zuschuss.

März 2004 Das Tempodrom ist pleite. Der Staatsanwalt ermittelt.

April 2004 Stadtentwicklungssenator Strieder tritt zurück.

2005 Irene Moessinger ist nicht mehr Tempodrom-Chefin

Januar 2008 Moessinger vor Gericht.

Angeklagt sind Irene Moessinger und Waehl der mutmaßlichen Untreue in mehreren Fällen. Die Tempodrom-Macher sollen sich laut Iris Berger, Sprecherin des Gerichts, danach selbst mehrfach "unangemessen hohe Gehälter" aus der Kasse der Geschäftsführung gegönnt haben. So sei ihre Vergütung von rund 6.100 Mark monatlich im Jahr 1999 auf über 20.000 Mark zwei Jahre später gestiegen, wodurch womöglich Mittel der Stiftung Neues Tempodrom veruntreut worden sind.

Hinzu kommen nach Angaben des Gerichts Fälle ungeklärter Kostenrechnungen, die statt von den Betreibergesellschaften von den beiden Tempodrom-Vorständen eigenhändig - und damit zum Schaden der Stiftung Neues Tempodrom - in Höhe von 26.000 Mark beglichen worden sein sollen. Die Hauptakteure Moessinger und Kompagnon Waehl haben die Vorwürfe stets bestritten und die Anschuldigungen zurückgewiesen.

Eine Bereicherung, so der Anwalt Moessingers, Peter Zuriel, habe nicht stattgefunden. Die Berechnungen des Salärs, wie die Staatsanwaltschaft sie angestellt habe und daraus eine Veruntreuung ableite, seien "völlig falsch".

Dass von einem möglichen Großprozess um Subventionsbetrug, schwere Untreue und weiteren drei Fällen mit Unregelmäßigkeiten - den die Staatsanwaltschaft im Visier hatte - eine Anklage wegen Veruntreuung von ein paar tausend Tempodrom-Märkern übrig blieb, mag die Angeklagten erleichtern. Dennoch rückt selbst bei dieser juristischen Dimension ein anderes Mal die Skandalgeschichte um Moessinger und das Kulturprojekt ins Rampenlicht. Eine Skandalgeschichte - für das der Name Tempodrom am Anhalter Bahnhof heute in Berlin synonym steht.

Es gibt Meinungen, die besagen, das Ende des Tempodroms habe schon 1992 mit dem Umzug des alternativen Zirkuszelts aus dem Tiergarten begonnen. Damals war das Tempodrom durch den Neubau des Kanzleramts verdrängt worden. Moessinger erhielt eine ansehnliche Entschädigungssumme für die Zwangsumsiedlung.

Sicher ist, dass der Anfang vom Ende des neuen Tempodroms sich an Moessingers groß angelegten Plänen festmachen lässt, eine Arena in Millionenhöhe zu errichten. Mit Hilfe des damaligen Bürgermeisters von Kreuzberg und späteren SPD-Stadtentwicklungssenators Strieder gelang es 1995, eine Fläche für den Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs zu ergattern. Architekten wurden zu Bauwettbewerben geladen. Ausgewählt wurde ein Entwurf aus dem Hause des Hamburger Stararchitekten Meinhard von Gerkan für ein Gebäude mit der weithin sichtbaren gezackten Betonkrone. 16 Millionen Euro sollte der Neubau kosten. Moessinger avancierte zu einer gefragten Kultfrau in der hippen Berliner Szene.

2001 wendete sich das Blatt. Als das Betonzelt im gleichen Jahr fertig gestellt und bezogen wurde, waren die Kosten auf 33 Millionen Euro angewachsen. Heraus kam auch, dass das zum hauptstädtischen Prestigeobjekt gesteigerte Tempodrom längst nicht aus mehrheitlich privaten - wie von Moessinger behauptet -, sondern überwiegend mit öffentlichen Geldern und über Bürgschaften der Landesbank finanziert worden war. Wegen der zweifelhaften Finanzspritzen des Landes zuletzt in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro gerieten Peter Strieder und SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin in den Verdacht der Untreue. Ein Prozess gegen beide wurde fallen gelassen, weil die Richter keinen hinreichenden Tatverdacht bei den Politikern sahen.

Dennoch trat Strieder im April 2004 als Senator und SPD-Landeschef infolge der Tempodrom-Affäre und seiner politischen Mitverantwortung und starken Unterstützung des Bauvorhabens zurück. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses kam 2006 zu einem erweiterten Ergebnis: Schuld an dem finanziell außer Kontrolle geratenen Bauwerk trügen die Bauherren, Banken sowie Verantwortliche quer durch fast alle politischen Lager.

2002 war das Tempodrom fast pleite und meldete schließlich Insolvenz an. Moessinger hoffte, dass das Land Berlin ihr den Betrieb überlassen würde. Vergebens. Das Land übergab die Immobilie einem Insolvenzverwalter und suchte einen neuen Investor. Den gibt es bis dato nicht. Eine Veranstaltungsfirma organisiert Konzerte, Bühnenshows oder Kongresse im Tempodrom.

2005 wurde Irene Moessinger ihren Job endgültig los. Sie wurde aus dem Geschäft gedrängt, die Ära der legendären rothaarigen Tempodrom-Chefin, die 1980 mit einem Zirkuszelt auf dem Potsdamer Platz das Tempodrom begründete, war vorbei.

Ein echtes Comeback ist ihr Auftritt heute darum nicht.

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