Linke Gewalt und verbale Aufrüstung in Berlin: Das Jahr des Feuers

2009 verschärfte sich der Ton gegenüber Autozündlern und linken Aktivisten. Letztlich ist dies ein Zeichen der Hilflosigkeit. Nötig wären runde Tische - und die Erkenntnis der Politik, dass Freiräume allen nutzen.

Fackeln auf einem Hausprojekt an der Liebigstraße am Rande der Silvio-Meier-demom im November Bild: dpa

Es hat gebrannt im Jahr 2009. Allein fünf Geländefahrzeuge wurden in der Nacht zu Sonntag in Prenzlauer Berg angezündet. Im Laufe des Jahres gingen mehr als 200 Autos in Flammen auf. Hinzu kamen Brandsatzwürfe auf Polizeigebäude, Farbattacken gegen Jobcenter, eingeworfene Scheiben bei Immobilienbüros und zuletzt bei 23 Bussen eines Reiseunternehmers.

Die wenigen Bekennerschreiben lassen drei anschlagrelevante Themenfelder erkennen. Wegen des Militäreinsatzes in Afghanistan werden Firmen attackiert, die mit der Bundeswehr kooperieren. Mit der Sozialreform Hartz IV werden Attacken auf Jobcenter begründet. Vor allem aber geht es um Stadtentwicklung: um Gentrifizierung, also die Aufwertung bestimmter Kieze allgemein, oder die Verdrängung linker Freiräume. Nach der Räumung des Hausprojekts Brunnenstraße 183 hieß es auf Flyern: "Ihr bestimmt den Termin, wir den Preis".

Die Polizei registrierte in diesem Jahr knapp 190 politisch motivierte Brandanschläge, mehr als zwei Drittel davon auf Autos. Direkt angegriffen wurden 220 Fahrzeuge. Die Polizei vermutet einen Großteil der Täter in der linksextremistischen Szene.

Am Mittwochmorgen haben Unbekannte einen Brandanschlag auf ein Jobcenter der Agentur für Arbeit im Wedding verübt. Gegen 2 Uhr schlugen die Brandmelder im Jobcenter in der Müllerstraße an. Der Brandsatz, der von selbst erloschen war, beschädigte zwei Eingangstüren. Zudem wurde das Gebäude mit politischen Parolen besprüht.

Am Dienstag hatte es einen Brandanschlag auf ein Jobcenter in Lichtenberg gegeben. Am selben Tag wurden im Ortsteil Johannisthal Scheiben von 23 Bussen auf einem Abstellplatz zertrümmert. Das betroffene Reiseunternehmen sei auf einer linken Internetplattform als Firma erwähnt, das auch für die Bundeswehr fahre, sagte ein Polizeisprecher.

Die Anschläge sind zahlreich, ertappte Täter Mangelware. Erst am Dienstag setzte ein Richter einen 23-Jährigen auf freien Fuß, der Mitte November in der Nähe brennender Autos festgenommen worden war. Verurteilt wurde 2009 ein einziger Autobrandstifter. Bei ihm ist kein politisches Ziel zu erkennen.

Dabei versuchen Polizei und Justiz mit aller Macht, einen Täter aus der linken Szene zu entlarven. Schon weil ein hartes Urteil Nachahmer abschrecken würde. Doch derzeit bewirkt der Fahndungsdruck nur das Gegenteil: Wenn reihenweise angebliche Täter trotz zweifelhafter Beweislage für Monate in U-Haft gesetzt werden, bevor sie dann freigesprochen werden, bestärkt das nur die linke Szene in ihrem Feuereifer.

Wenig hilfreich war auch die verbale Aufrüstung der Politik. Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen, polterte gegen "Kieztaliban", die entscheiden wollten, wer in ihrem Stadtviertel wohnen dürfe. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) schimpfte über "rotlackierte Faschisten". Und die CDU klassifizierte Berlin als "Hauptstadt des linken Terrors". Mit Erfolg. Die Springer-Presse verunglimpfte ehemals besetzte Häuser als "Terrornester". Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, forderte die Bundesanwaltschaft auf, gegen die "Terroristen" zu ermitteln. Die lehnte dankend ab. Doch der Begriff steht im Raum: "Terror".

"Terror", das ist das lateinische Wort für "Furcht", für "Schrecken". Terrorismus wird als systematische Anwendung von Gewalt definiert, die genau das verbreiten soll: Angst. Schrecken. Verunsicherung. Insofern ist der Begriff nicht unpassend. Doch zur Entspannung trägt es kaum bei, wenn die verbale Aufrüstung die höchste Stufe erreicht.

Unter Terrorismus verstand man jahrzehntelang vor allem die Taten der RAF. Da ging es um Mord, Banküberfälle, Entführungen. Davon sind die aktuellen Brandanschläge zum Glück noch meilenweit entfernt. Parallelen zu Selbstmordattentaten islamistischer Terroristen verbieten sich erst recht.

Wer also den Begriff "Terror" plakativ in die Debatte wirft, nutzt - gewollt oder nicht - letztlich den Tätern. Denn Terrorismus ist auch eine Form der Kommunikation. Keine schöne. Erst recht keine akzeptable. Aber vor allem dann eine erfolgreiche, wenn die Angst auch von der anderen Seite geschürt wird.

Ebenso fraglich ist der Effekt der "Distanzierungsorgie", die nun die CDU von der SPD, die SPD von der Linkspartei, die Grünen von Politaktivisten fordern. Denn wer einen Graben zieht, muss gelegentlich feststellen, dass überraschend viele auf der anderen Seite bleiben.

Das erlebten die Grünen, als sie sich im Juni nach anfänglicher Sympathie von den Flughafenbesetzern abwandten, weil die sich nicht deutlich genug von Brandstiftern distanzieren wollten. Plötzlich stand ein Teil der Grünen-Basis jenseits der von der Parteiführung vorgegebenen Linie. Dabei waren die Airport-Squatter keineswegs skrupellose Krawalleros. Als die Demonstranten nach einem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei plötzlich zu Tausenden vor dem auf hunderten Metern unbewachten Zaun am Columbiadamm standen, passierte - nichts. Die Wiese blieb unberührt.

Das Parlament muss froh sein, dass es noch Abgeordnete wie Evrim Baba (Linke) hat, die sich als Anmelderin linksextremer Demonstrationen zur Verfügung stellt - und damit zeigt, dass der Graben nicht unüberbrückbar ist. Denn die Brandstifter bewegen sich in einem Umfeld aus Sympathisanten, das bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Die klammheimliche Sehnsucht, dass es mal das Autos des eigenen Vermieters trifft, ist überraschend weit verbreitet.

Es wird eng in der Stadt

Denn Berlin ist attraktiv, weil es sich hier billig leben lässt. Weil man auch ohne topbezahlten Job über die Runden kommt. Weil hier Platz zum Experimentieren ist. Noch. Mittlerweile aber wird es eng in der Hauptstadt. Und das gilt keineswegs nur für die von den Szenetruppen verteidigten linken Freiräume.

Deren Vertreter böten sich als Ansprechpartner an. Nicht für einen "runden Tisch Linksextremismus", den die CDU lautstark fordert und den der rot-rote Senat zu Recht ablehnt. Denn die Union möchte nur alle diesseits des Grabens für ihr Lieblingsthema "Aufrüstung der Polizei" gewinnen. Das aber wäre geradezu eine Persiflage auf die runden Tische der 90er-Jahre, an denen sich Hausbesetzer mit Hausbesitzern, Polizei und Politik zu irgendwie für alle erträglichen Lösungen durchrangen.

Nun gibt es anders als noch in den 90er-Jahren gar keine besetzten Häuser mehr. Das aber müsste es der Politik eigentlich nur einfacher machen, mit der linken Szene ins Gespräch zu kommen. "Ich bin mittlerweile so weit, dass ich sage, man sollte alles tun, was dazu beiträgt, die Situation zu entspannen", erklärte selbst Berlins CDU-Chef Frank Henkel gerade im taz-Interview. Man sollten ihn beim Wort nehmen: Ein runder Tisch ist nur dann erfolgversprechend, wenn alle daran Platz nehmen.

Von heute auf morgen ließe sich die Serie der Brandstiftungen damit nicht stoppen. Aber es wäre ein unverkennbares Zeichen, dass Politik wieder die realen Sorgen aller Bewohner in den betroffenen Kiezen wahrnimmt - nicht nur die der Porschefahrer. Immerhin: In seiner Silvesteransprache redet der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) von "bezahlbarem Wohnraum in der ganzen Stadt". Das ist ein Anfang für 2010.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.