Zehntausende beim Bildungsstreik in Berlin: Demonstrieren können sie schon

Mehrere 10.000 Schüler, Studenten und Lehrende demonstrieren für Bildungsreformen. Sie wollen länger in Schule und Uni bleiben dürfen - und mehr Geld. Senator findet Berlin vorbildlich.

Gebildete Massen am Mittwoch in Berlin Bild: dpa

Als erstes fallen die Ampelmännchen auf. Über einen Meter groß und rot sind sie, aus Pappe, ein halbes Dutzend schwebt über den Köpfen der Demonstranten auf dem Alexanderplatz. Die Ampelmännchen gehören zu einer Gruppe von Studierenden der Technischen Universität im Studiengang Landschaftsarchitektur. Ursprünglich waren sie Teil einer Installation, doch die Studierenden wollten sie unbedingt mit auf die Demo nehmen. "Schließlich sehen wir auch bei der Bildung rot", erklärt Studentin Theresa Quade.

Die junge Frau studiert genau das, weshalb am Mittwoch nach Angaben des Veranstalters rund 27.000, nach Polizeiangaben 12.000 Demonstranten vom Alexanderplatz aus durch Berlin zogen: einen Bachelorstudiengang. Der Bachelor ist für die meisten Demonstranten mehr als ein Studiengang, der abgeschafft gehört - er ist ein Symbol für das Bildungssystem in Deutschland. Zu unflexibel sind beide, so die Kritik, lassen keinen Raum zu Denken, sind nicht mit ausreichend Personal ausgestattet und vor allem chronisch unterfinanziert. Ob das die Zahl der Schulbücher betrifft oder die Zahl der Studenten, die auf einen Dozenten kommen. Ersteres ist zu niedrig, letzteres zu hoch. Und bei beidem ließe sich mit mehr Geld einiges entschäfen.

Diana Drechsel ist ebenfalls eine Bachelor-Studentin. Sie hat ihr Kind auf die Demo mitgebracht, auf seinem Strampler trägt es den Schriftzug "Bachelor-Opfer". "Mit dem Bachelor bleibt eigentlich keine Zeit, sich um Kinder zu kümmern", kritisiert sie. Eine andere Demonstrantin hat "Die zehn Gebote des Bachelor/Master" auf ihr T-Shirt geschrieben. Ganz oben: "Du sollst nicht denken. Und schon gar keine Fragen stellen."

Bevor die Demonstration lautstark über die Rosenthaler Straße, Torstraße und Friedrichstraße zum Bebelplatz vor der Humboldt-Universität (HU) zieht, wird es ruhig. In einer Schweigeminute gedenken die Anwesenden den protestierenden Oppositionellen im Iran. "Bildung und Demokratie gehören zusammen", mahnt der emeritierte Professor Peter Grottian in seiner Rede. Und, bezogen auf Berlin: "Die politisch Verantwortlichen stellen sich der Diskussion nicht."

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) äußert sich lediglich in einer Pressemitteilung zu den Anliegen der Demonstranten: Darin lobt er Berlin für seine bildungspolitischen Leistungen. So werde es hier weiterhin möglich sein, dass Abitur in 13 Jahren abzulegen, Studiengebühren würden nach seinem Willen auch in Zukunft nicht erhoben und bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Hochschulen, Schulen, Vorschulen und Horten liege Berlin im bundesweiten Vergleich an der Spitze. Den Demonstranten reicht das nicht.

"Ich bin hier, weil wir immer zu zweit in die Schulbücher schauen müssen", erklärt die Siebtklässlerin Lisa Makuratsch, die in der ersten Reihe ein Transparent trägt. "Bildungsblockaden einreißen" steht über einer Mauer aus gemalten Backsteinen. Außerdem wünschen sie und ihre Mitschüler sich kleinere Klassen. Eine Lehrerin der Karl-von-Ossietzky-Gesamtschule ist dabei, weil "immer noch zu viele Kollegen nur befristete Verträge haben". Eine Gruppe von Ausbildern der Ausbildungswerkstatt der Technischen Universität sieht sich von "den Budgetkürzungen bei den Unis" betroffen. "Leergut sind wir", witzelt einer.

Zu den befürchteten Ausschreitungen - im vergangenen November wurde am Rande einer Schülerdemonstration eine Ausstellung über jüdisches Leben in der Humbold-Universität zerstört - kam es jedoch nicht. Als gegen Ende der Demonstration eine Reihe von Teilnehmern in das Hauptgebäude der HU strömt, Toilettenpapier und Flyer durch die Halle wirft, fängt sich eine Gruppe Schüler, die mobile Wegweiser durch die Gänge stößt, Kritik ein. "Macht doch nicht einfach was kaputt hier, das ist totaler Schwachsinn", stoppt ein junger Mann mit Dreadlocks die Gruppe.

Als der letzte Teil des Demonstrationszuges gute drei Stunden nach Beginn am Bebelplatz ankommt, haben sich einige auf Grünflächen in der Umgebung zurückgezogen. "Ich will auch ein bisschen den freien Tag genießen", sagt eine Schülerin. Dass alleine die Demonstration etwas ändert, glaubt sowieso kaum jemand. "Aber es ist eine Bombenstimmung, ich würde das bestimmt wieder machen", sagt Siebtklässlerin Lisa.

Mitorganisator Jan Latza äußert sich zufrieden über den Verlauf. "Es ist friedlich geblieben und ich bin froh, dass auch so viele Studierende dabei waren", bilanziert er. Die Schüler hätten schließlich im vergangenen Herbst mit an die 10.000 Demonstranten "gut vorgelegt". Die Ampelmännchen sind bis zum Schluss dabei. Bei der Abschlusskundgebung hängen sie zwar etwas tiefer als am Anfang - ziehen aber immer noch alle Blicke auf sich.

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