Rückbau: Der edle Schrott der Republik

Baut ab, baut ab: Vom Palast der Republik steht nur noch das Stahlskelett. Und auch das wird nun demontiert und verkauft - zu einem erstaunlich guten Preis. Probleme macht weiter das Asbest.

Der große Durchblick: Der Restpalast einer untergegangenen Republik Bild: DPA

"Schubverband Argo legt ab vom Palast." Jörg Polzt, Kapitän der "Argo", lässt das Funkgerät los und schiebt sacht den Steuerhebel nach vorn. 800 Tonnen rotbraune Stahlträger, lange und kurze, breite und schmale, gelochte und massive, setzen sich trägen in Bewegung in Richtung Karl-Liebknecht-Brücke. Es ist Donnerstag, 15.34 Uhr. Den ersten tragenden Elementen des Palasts der Republik ergeht es wie dem Staat, der sie bestellt hatte: Sie gehen den Bach runter. Einst hielt der Stahl den Prachtbau der Deutschen Demokratischen Republik zusammen. Jetzt ist er Schrott. So verläuft Geschichte.

Ein Bagger hat den ganzen Tag mit seiner vierarmigen Kralle in die großen Metallhaufen gegriffen, die sich am Spreeufer türmen. Mal packte er einen, mal gleich fünf oder sechs der Trägerstücke und ließ sie in die beiden Schubleichter poltern, diese schwimmenden Container, die Polzt transportiert. Zu DDR-Zeiten schipperte er zehn Jahre lang Lasten vom Rummelsburger See bis an die Zonengrenze an der Friedrichstraße. Dort, an der Weidendammer Brücke, übernahmen die Fracht Kollegen, von denen die DDR-Obergenossen annahmen, sie seien für die Fahrt durch den Westen politisch besser gerüstet. Jetzt sitzt Jörg Polzt am Steuer, um den symbolischen Überbau jener Genossen sicher durch Westberlin zu bugsieren, vorbei an Reichstag und Hauptbahnhof, Virchow-Klinik und durch die Schleuse Charlottenburg. So verläuft Geschichte.

Ziel des Transports: Europas zweitgrößte Schrottschere in Rosslau an der Elbe. Dort werden die Palastreste zerschnippelt. Später wandern sie in den Hochofen, um zu neuem Stahl zu werden. "Vielleicht geht er dann nach Japan und kommt als Toyota zurück", meint Polzt.

Knapp 30 Jahre trug der Stahl. Er trug die Pro-forma-Beschlüsse der Volkskammer, deren Vertreter dort einmal im Jahr die Entscheidungen des SED-Zentralkomitees durchwinkten. Er trug die Ostjugend, die in der Palast-Disko rockte - man sieht noch den kreisrunden Abdruck der Tanzfläche im Beton -, die Aufführungen des Theaters im vierten Stock und die unzähligen Kugellampen im Foyer; der Stahl trug die Begeisterung der Konzertbesucher, als Udo Lindenberg im Oktober 1983 vor ausgewählten FDJlern ein legendäres Konzert gab. Und er trug die erste frei gewählte große Koalition unter Lothar de Maizière, die 1990 den Weg zur Abschaffung der DDR und indirekt zum Abriss des Gebäudes ebnete.

12.000 Menschen, so die Legende der DDR-Führung, waren am Aufbau des Palasts beteiligt. 50 reißen ihn seit August vergangenen Jahres ab. Ende 2008 dürfte nichts mehr von ihm zu sehen sein. Doch noch lässt das mächtige Stahlgerippe die Silhouette des einst mit Spiegelglas und weißem Marmor verkleideten Palasts erahnen: Zum Dom hin der kleinere Quader, in dem einst der Volkskammersaal war. Auf der anderen Seite der große Quader, ehemals mit dem Großen Saal, an dessen Stelle ein gigantisches Loch klafft. Von den Fachwerkträgern hängt noch das Eisengestänge herab, an dem die aufwendige Bühnentechnik des in alle Richtungen variablen Saals aufgehängt war. Der Saal wie auch das zwischen den Blöcken gelegene Foyer sind verschwunden und verschrottet - "zu 230 Euro die Tonne", wie der vom Senat eingesetzte Treuhänder trocken bemerkt.

Neben der Palastruine hat der Förderverein Berliner Schloss ein paar Informationstafeln aufgestellt. Sie zeigen Nachkriegsaufnahmen des ausgebombten Hohenzollern-Palasts, der 1950 auf Anweisung der DDR-Führung gesprengt wurde: ein Gerippe aus Mauern, durchsichtig, monumental und fragil. Nach dem Willen des Bundestags wird das Stadtschloss wieder aufgebaut. Laut der aktuellen Planung soll - nach einer Phase der Zwischennutzung durch die Kunsthalle White Cube - 2010 damit begonnen werden. In das sogenannte Humboldt-Forum mit den Fassaden des Stadtschlosses sollen die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie Einrichtungen der Humboldt-Universität und der Stadtbibliothek einziehen. Bisher sind dafür rund 550 Millionen Euro eingeplant.

Der Rückbau des Palasts verläuft spiegelverkehrt zum Aufbau, erklärt Michael Möller, Chef der Arbeitsgemeinschaft, die den Betonklotz demontiert. Zuerst wichen das Innenleben, die Fenster, die Wände und Decken. Dann der Stahl, am Ende die Treppenkammern. Eng ist die Stiege, der einzige Ort der Abrissstelle, den noch vier Wände umgeben. Der Putz ist an manchen Stellen weit aufgerissen - so tief, dass das Stahlgeflecht zum Vorschein kommt, das den Beton stabilisiert. Einer der Bagger, der draußen vernehmlich die Eisenbalken sortiert, wird ihn mit einer Pressluftzange zerdrücken und die Stahlfäden einfach herausziehen. "Pulverisieren" heißt der Fachausdruck dafür. "Fäden ziehen" passt besser: Tut ein bisschen weh, aber die Oberfläche heilt gut zusammen.

Möller führt in den vierten Stock, den einstigen Volkskammersaal. Der Regen tropft durch die hohe Decke, grau leuchtet der Himmel zwischen den Ritzen der Betonplatten. Wände gibt es kaum mehr, stattdessen einen herrlichen Blick auf den Boulevard Unter den Linden. Mit jeder Woche des Rückbaus weitet sich das Panorama.

Natürlich findet er es als Bauingenieur "schöner, ein Gebäude aufzubauen, weil man hinterher vorbeigehen und sagen kann: Das hab ich gebaut", sagt Möller. Doch der Abriss sei einfach eine technische Aufgabe: "Die löst man, und hinterher ist eben nichts mehr da." - "Na ja, immerhin können Se sagen: Dass jetzt nichts mehr da ist, das war icke", gibt ein Kollege zu bedenken. "Ob man das beim Palastbau so laut sagen sollte, ist die Frage", so Michael Möller.

Was bleibt, ist der Keller. Ein riesiger, düsterer Raum, eine Sandfläche unter niedriger Decke. Wasser tropft herab und bildet kleine Pfützen im Sand. Er ist weiß und weich. "80.000 Kubikmeter feinster Havelsand von einer Insel bei Hennigsdorf", sagt Möller. Eieruhrensand als Gewicht, damit das Grundwasser nicht die Bodenwanne nach oben treibt und benachbarte Gebäude nicht absacken.

Durch die Stahlsäulen hindurch, die aus dem Grund ragen, sieht man die Ketten der Bagger, hört man das Donnern der Eisenstücke. Mit Schneidbrennern nehmen die Arbeiter das Skelett auseinander. Das geht schneller, als die verrosteten Schrauben aufzudrehen. Die Zeit drängt; der Bau muss weg.

Und es lohnt sich. Denn Stahl ist fast wieder so knapp wie damals: Die DDR-Ingenieure hatten Schwierigkeiten, den Stahl für ihren Bau zu beschaffen. 20.000 Tonnen. Während die Bundesrepublik 1974 mit einer Produktion von 53 Millionen Tonnen einen Rekord aufstellte, verzichtete man östlich der Mauer auf dringende Wohnungsbauprojekte, um genug Material zu haben. Rund 10 Prozent steuerten "befreundete sozialistische Länder" bei, erinnert sich Günter Queck, der beim Bau die Statik des Gebäudes prüfte und nach der Wende die Demontage plante. Die restlichen 90 Prozent lieferten die volkseigenen Hütten in Riesa, Brandenburg und Eisenhüttenstadt. Dieselben Hütten, inzwischen GmbHs und AGs, schmelzen sie nun wieder ein. Der Staat geht auch nicht leer aus. Mit rund einer Million Euro Verkaufserlös aus dem Altstahl hat er gerechnet. Dank steigender Preise dürfte sich der Erlös mindestens verdreifachen - allerdings erhöhen sich auch die Kosten für den Rückbau auf 30 Millionen Euro.

Letzteres liegt unter anderem daran, dass der Palast stärker mit Asbest verseucht ist als vermutet. Im obersten Stockwerk laufen im Gänsemarsch drei Arbeiter in weißen Ganzkörperanzügen vorbei, das Gesicht mit einer Gasmaske verhüllt. Sie verschwinden in einem schlauchförmigen, rund zehn Meter langen, blauen Zelt. Es zieht sich über einen Untergurt aus Stahl, der mit Beton gefüllt ist. Und mit Asbest. Die Arbeiter, die das Füllmaterial aus dem Träger kratzen, müssen durch eine Vierkammerschleuse; die komplette Anlage wird unter Unterdruck gesetzt. Zwei Stunden dürfen sie maximal arbeiten, dann müssen sie eine halbe Stunde Pause machen. "Drei bis vier Wochen dauert die Reinigung pro Gurt", sagt Möller. Es gibt über hundert solcher Gurte.

Dass der Palast kontaminiert war, wusste man spätestens seit 1990. In jenem Jahr wurde er geschlossen, von 1997 bis 2002 entkernt und von Asbest befreit. Allerdings nicht vollständig. Denn als es an den Abriss ging, entdeckten die Ingenieure den Stoff, der den Stahl vor Feuer schützt, überall. Spritzasbest, in der DDR seit 1969 verboten, mit Sondergenehmigung aus England importiert, allerbeste Ware. Leider krebserregend.

"Schubverband Argo kommt die Kronprinzenbrücke zu Tal und geht Richtung Humboldthafen." Drei, vier Passanten schauen von der Brücke herab auf das Schiff und seine Fracht. Ob sie wissen, woher sie stammt? Ob es sie berührt? Polzt anscheinend nicht. "Der Abriss war eine demokratische Entscheidung, und deshalb kann ich damit leben", sagt er. "Aber dass man alles aus der DDR wegreißen muss, das verstehe ich nicht."

Im Februar wird Jörg Polzt das nächste Mal am Palast anlegen. Wieder wird er zwei Schubleichter mit 800 Tonnen Stahl beladen, sie durch die Schleuse Charlottenburg bugsieren und den 300-Kilometer-Wasserweg nach Rosslau antreten. Der Palast wird dann noch löchriger sein denn zuvor, noch niedriger und der Stapel mit den Stahlträgern am Ufer der Spree noch höher. Ende 2008, so der offizielle Plan, wenn der letzte Stahl abgebaut ist und nur noch die Stümpfe der Treppenkammern stehen, wird der Schubverband Argo das letzte Mal vom Palast ablegen.

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