Berliner SPD im Tief: Die SPD sucht ihren Wähler

Die Sozialdemokraten stehen in Land und Bund so schlecht da wie seit Jahren nicht. Ihre Abgeordneten tun das als Momentaufnahme ab. Selbstkritik? Fehlanzeige!

Immerhin seine Stimme hat die SPD sicher: Parteichef Müntefering im Bundestag Bild: AP

Die SPD rutschte in der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa mit 22 Prozent erstmals seit Jahren hinter die CDU mit 24 Prozent. Bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2006 hatten die Sozialdemokraten noch 30,8 Prozent erreicht. Die Grünen setzten ihren Höhenflug mit 19 Prozent fort.

Die Union als stärkste Partei in Berlin - das gab es in Umfragen zuletzt im Sommer 2005. Im Jahr 2004 kam die CDU sogar auf einen Spitzenwert von 36 Prozent.

Es fiept und knackt aus dem Lautsprecher, bis sich die Leute im Zehlendorfer Bürgersaal die Ohren zuhalten. Franz Müntefering nimmt beim Wahlkampfauftakt am Mittwochabend das Mikro schließlich aus der Halterung und in die Hand. Es geht sofort besser. Die SPD würde sich freuen, wenn all ihre Probleme so leicht zu lösen wären. In Berlin liegt die Partei in einer Umfrage erstmals seit fünf Jahren hinter der CDU, auf Bundesebene dümpelt sie seit Monaten vor sich hin. Doch große Kritik regt sich weder in der Fraktion im Abgeordnetenhaus noch an diesem Abend beim Besuch des Bundeschefs. Die Partei verdrängt die Krise - als ob die Bundestagwahl schon verloren wäre.

Es war ein mittleres Erdbeben, das zu Wochenbeginn über die Berliner Sozialdemokraten kam. In der jüngsten Meinungsumfrage sackte die vermeintliche Volkspartei auf 22 Prozent ab. So schlecht war sie zuletzt im Juli 2004. Die CDU hingegen legte zu - trotz der Querelen um ihren Kreisverband Neukölln und die dortige Abwahl einer Stadträtin durch die eigenen Leute. SPD-Landeschef Michael Müller erklärt sich die Misere mit der Verunsicherung der Bürger durch aktuelle Reformen und den Abwärtstrend der Bundespartei.

Auf den Bundestrend zu verweisen, ist ein immer gern genutzter Weg, Verantwortung abzuwälzen. In diesem Fall wirkt er noch hilfloser als sonst. Denn es gibt zu viele andere Gründe für den Absturz. In den Wochen zuvor war die SPD von einem Streit in den nächsten getaumelt: Beim Thema Autobahn 100 lehnte die Partei den vom eigenen Senat betriebenen Weiterbau ab; bei der Schulreform verwirrten immer neue Zugangsquoten; bei Tempelhof hakt es bei der weiteren Nutzung. Und im Haushalt ist Geld für eine neue Kunsthalle vorgesehen, aber nicht für mehr Feuerwehrleute.

Da könnten die Umfragewerte durchaus Anlass zu Selbstkritik sein. In der Fraktion aber ist viel von "Momentaufnahme" zu hören, von "temporärer Erscheinung" und dass sich das schon wieder geben werde. Immerhin herrscht bei einigen die Einsicht, dass es schlicht zu viele Baustellen sind. "Wir müssen uns jetzt mal zusammenreißen", sagte eine langjährige Abgeordnete. Sie sieht nach mehr als sieben Jahren Rot-Rot die Gefahr, dass die Leute der gleichen Gesichter müde werden. Nur vereinzelt kommt Kritik an Fraktions- und Parteichef Müler auf. Der zeige zu wenig Gesicht, sagt ein Abgeordneter - "die SPD kann mehr".

Bei einer Klausurtagung der SPD-Fraktion vor einer Woche wurde zwar nicht geschrien, aber zumindest sehr kontrovers diskutiert. Die Sache mit der 30 Millionen Euro teuren Kunsthalle lasse sich den Leuten einfach nicht vermitteln, hielten Abgeordnete dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit vor. Der entschärfte die Situation nicht dadurch, dass er sinngemäß vermittelte: Die Halle kommt, weil ich sie will.

Als sein Mikro wieder funktioniert, versucht Parteichef Müntefering an diesem Mittwochabend in Zehlendorf, Zuversicht zu vermitteln. Die Partei solle sich von schlechten Umfragewerten nicht verunsichern lassen, auch bei der vergangenen Wahl habe die Union schier uneinholbar vorne gelegen. Schon eine Woche vorher hat Müntefering tief in der Historie gekramt, um etwas Optimismus zu wecken. 1972, da habe es auch ganz schlecht ausgesehen für Willy Brandt, erklärte er beim SPD-Pressefest. Wäre es nicht Müntefering, man könnte meinen, da erzähle der Großvater seinen Enkeln von der guten alten Zeit.

Bei den 70, 80 Leuten im Bürgersaal kommen "Müntes" beschwörende Worte durchaus an. Einmal während seiner gut 50-minütigen Rede unterläuft dem Parteichef bei aller Zuversicht aber ein Lapsus. Als er die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb geißelt, sagt er: "Das werden die auch nicht machen können. Die werden da ganz andere Sorgen haben." Das lässt sich so verstehen, als ob selbst er mit einer CDU-FDP-Regierung rechnet.

Dies ist trotz aller miesen Umfragewerte und umstrittenen Entscheidungen nicht der Abend des Frustablassens. Das zeigt schon die erste Wortmeldung nach der Rede: Statt um Finanzkrise oder Bürgschaften geht es um Überhangmandate im Bundestag. Erst die fünfte Fragerin hakt nach, warum die SPD sich für Hilfen für den Arcandor-Konzern stark gemacht hätte, obwohl doch die Manager den Betrieb runtergewirtschaftet hätten.

Die Sozialdemokraten wirken seltsam ungerührt zwischen der offenbar schon aufgegebenen Bundestagswahl und einer noch angenehm weit entfernten Abgeordnetenhauswahl. Zu leicht ist es ja, auch hier ein ermutigendes Beispiel zu finden. Schließlich nutzte es der CDU am Wahlabend 2006 nichts, dass sie zweieinviertel Jahre zuvor noch 14 Prozentpunkte vor der SPD lag.

Münteferings Mikro fiept in Zehlendorf doch noch so manches Mal. Das ist immerhin besser als beim SPD-Pressefest. Dort trugen die Lautsprecher die Worte des SPD-Chefs in einen leeren Saal. Die Besucher standen draußen im sonnigen Innenhof.

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