Ausgestellte Geschichte: Die vergessene Verfolgung

Eine Ausstellung im Haus der Demokratie zeigt die Stigmatisierung sogenannter Asozialer in der NS-Zeit.

An die Verfolgung sozialer Randgruppen im Nationalsozialismus wird in dieser Woche mit mehreren Veranstaltungen erinnert. Anlass ist der 60. Jahrestag des NS-Erlasses zur Aktion "Arbeitsscheu Reich". Heute wird dazu im Haus der Demokratie in Prenzlauer Berg die Ausstellung "Wohnungslose im Nationalsozialismus" eröffnet, teilte der Arbeitskreis "Marginalisierte - gestern und heute!" am Dienstag mit.

Mit Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen und einer Lichterkette wird der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar begangen. Für 14 Uhr ist im Jüdischen Museum eine mehrstündige Lesung von Texten zur Judenverfolgung vorgesehen. Im Rathaus Schöneberg wird am Gedenktag (18 Uhr) die erweiterte Ausstellung "Wir waren Nachbarn" mit 115 Biografien jüdischer Zeitzeugen eröffnet.

In Pankow lädt die evangelische Kirchengemeinde Alt-Pankow und die "Kommission für Bürgerarbeit" zu einer Lichterkette (18 Uhr) am ehemaligen jüdischen Waisenhaus in der Berliner Straße 120/121 ein. Zuvor ist im Waisenhaus (16 Uhr) eine Podiumsdiskussion über "Der deutsche Faschismus und interkulturelles Zusammenleben heute" geplant. Auf dem Breitscheidplatz will das Bündnis "Demokratie jetzt" am Sonntag (11.30 Uhr) an die deportierten und ermordeten Juden und besonders an die Opfer von "Euthanasie" und Zwangssterilisation erinnern. Zu einer Lesung mit der in der NS-Zeit in Berlin untergetauchten Jüdin Gisela Jacobius (Jg. 1923) lädt am Nachmittag (16 Uhr) die St. Lukaskirche Kreuzberg, Bernburger Straße 3-5, ein.

Zum Holocaust-Gedenktag veranstaltet das Abgeordnetenhaus wieder das Jugendforum "denk!mal". Die Abschlussveranstaltung ist für den 28. Januar geplant. Jugendliche waren aufgerufen, Projekte einzureichen, mit denen sie an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern oder zu Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aufrufen.

"S. ist als arbeitsscheuer Mensch bekannt, der nur notgedrungen Gelegenheitsarbeiten verrichtet, um seinen Lebensunterhalt zu fristen." "D. ist ein arbeitsscheuer Mensch, der einer geregelten Arbeit nie nachgegangen ist" - so lauteten die Begründungen der Nazis für Einweisungen in Arbeitslager. Das Schicksal jener Menschen, die als so genannte Asoziale oder Arbeitsscheue in der NS-Zeit verfolgt wurden, ist mehr als 60 Jahre nach Ende des Dritten Reichs weitgehend vergessen. Die Veranstaltungsreihe soll dies ändern.

Die Ausstellung über Wohnungslose zieht einen Bogen von der Hetze gegen sogenannte Arbeitsscheue in den letzten Jahren der Weimarer Republik über die "Bettlerrazzien" im September 1933 bis zur Eliminierung der vom NS-Regime als minderwertig Klassifizierten aus dem "deutschen Volkskörper". Im Anschluss an die Eröffnung heute um 19 Uhr wird die Historikerin Claudia von Gelieu einen Überblick über die Geschichte des Arbeitszwangs und den Diskurs über Arbeitsscheue vom Mittelalter bis zur NS-Zeit geben.

Von Freitag bis Sonntag ist eine Tagung zum Thema geplant. Am Sonnabend soll zudem im Rahmen einer Besichtigung der sogenannten Arbeitshäuser in der Rummelsburger Bucht, dem späteren Ostberliner Gefängnis, an Menschen erinnert werden, die als "Asoziale" verfolgt wurden. Eine Gedenktafel findet man dort bis heute nicht.

Diese Ignoranz war für die AG Marginalisierte der Anlass für die Veranstaltungsreihe. Für Anne Allex, Mitglied der AG, hat die Beschäftigung mit der Thematik nicht nur historische Gründe. "Die herrschende Meinung der damaligen Gesellschaft bewertete das Leben von Menschen unter anderem nur nach ihrer 'Nützlichkeit und Anpassungsfähigkeit." Die kürzlich von dem Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte Langzeitstudie "Deutsche Zustände 6" zeige, dass auch 2007 jeder Dritte der Ansicht ist, "die Gesellschaft könne sich Menschen, 'die wenig nützlich sind', nicht länger leisten."

Im Rahmen der Veranstaltungen soll es auch um Gegenstrategien gehen. So will Robert Ulmer am 12. Februar bei der Veranstaltung "Legitim Parasit sein" deutlich machen, dass die Betroffenen Stigmatisierung nicht mit Empörung zurückweisen, sondern positiv aufgreifen sollen.

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