Barbara Jedermann im Poträt: Die Wollmalerin

An Barbara Jedermanns Wandteppichen kann man die Gesellschaftsgeschichte des letzten halben Jahrhunderts ablesen. Aber auch, wie sich eine Künstlerin emanzipiert hat.

Wolle und Stoffe sind Barbara Jedermanns Arbeitsmaterialien Bild: reuters

"Ich bin vorübergehend sehr stolz", sagt Barbara Jedermann, "weil ich einen großen Teppich verkauft habe." Das Wort "vorübergehend" macht den Satz stark. Denn Jedermann ist 90 Jahre alt. Fürs Vorübergehende hat sie ein Gefühl entwickelt in all der Zeit. Und der Teppich, den sie meint, das ist kein Wohnaccessoire. Der Teppich ist ein Kunstwerk. Nordseelandschaft - mit einlaufendem Wasser und langem Ufer. Die zähe Unruhe des Meeres am Sandstrand wird von dem Teppich gespiegelt. Das Material, mit dem Jedermann diese Landschaft bändigt, gibt dem unberechenbaren Wasser jedoch etwas Weiches, Warmes, ja Umhüllendes.

Barbara Jedermann ist eine Malerin, die mit Wolle malt. Und mit Stoffstreifen. "Wenn ich die Farbe eines Pullovers gerade brauchen würde" - sie zupft an ihrem Ärmel und deutet auf das Blau darin -, "dann würde ich den zerschneiden." Ein Pullover ist für sie nicht nur Kleidung. Er ist auch Rohstoff. Längst gelingt es ihr, mit ihrer Technik, fließende Farbübergänge zu erreichen und das hingeworfene Farbspiel, das Aquarelle haben, in ihrer Weberei einzubinden. Durch die Unregelmäßigkeit der Stoffstreifen und Wollfäden bekommt der Teppich zusätzlich eine reliefartige Struktur. Das Grobe, das durch den zugeschnittenen Stoff entsteht, das könnten Kiesel sein und Steine.

Dass ihre Gobelins die Leichtigkeit von Aquarellen haben, zeigt die große Erfahrung der 90-Jährigen, die mit ihren lockigen weißen Haaren, mit Jeans und Pulli zeitlos aussieht. Ihre knochigen Hände wirken gegerbt wie Leder, die Falten ihres Gesichtes so tief wie die Furchen in Elefantenhaut. Ihr Lachen aber ist das eines Mädchens. Leicht nach vorn gebeugt steht sie in ihrem Wohnatelier, das die produktive Unruhe der letzten 50 Jahre spiegelt. Webteppiche hängen neben Bildern ihres Mannes, Garnrollen liegen neben Pinseln, ein Strauß Mohnblumen steht neben einem Obstteller. "Ich finde noch lange nicht alles gut, was ich gemacht habe, deshalb muss ich weitermachen", sagt sie.

Das Aquarellhafte ihrer Gobelins kommt nicht von ungefähr. Die Künstlerin malt viel mit den wasserlöslichen Farben. Landschaften am Meer. Gartenszenen. Porträts von Menschen. Gefällt ihr ein Aquarell, vergrößert sie es und hängt die Vorlage hinter den Rahmen, an dem sie ihre Wandteppiche macht. Gerade hat sie wieder mit einer Freundin die Kettfäden für einen zwei Quadratmeter großen Gobelin gespannt. Die Kettfäden aus starkem Itzehoher Fischernetzgarn, das sind die Längsfäden, um die sie die Wolle legt und die man am Ende nicht sieht. Es sei denn, Jedermann will, dass man sie sehen soll. Das kommt vor.

Webteppiche, Gobelins, die haben den Ruch von Kunsthandwerk. Das Bauhaus war nicht unbeteiligt an diesem unrühmlichen Stigma. Frauen landeten an der wegweisenden, 1919 gegründeten und 1933 von den Nazis geschlossenen Kunstakademie vornehmlich in der Keramikwerkstatt und der Weberei. Die großen Disziplinen - Bildhauerei, Architektur, Malerei - blieben den Männern vorbehalten. Jedermann stört das Kunsthandwerksstigma nicht. Vor fast einem halben Jahrhundert hat sie mit der Teppichweberei angefangen. Zuerst hat sie Bilder ihres Mannes als Gobelins umgesetzt. Zaghaft Abstraktes, wie es viele Künstler nach der Nazizeit machten, als sie versuchten, die Kunstentwicklung der verlorenen Jahre nachzuholen. Dann hat sie ihre eigenen Bilder gewebt. Einfache Formen zuerst, große und kleine, nebeneinander gesetzt. "Rot auf blauem Grund" heißen solche Teppiche dann. Die Kanten der Farbflächen sind noch scharf voneinander getrennt.

Den Anstoß, ihre Kompositionen zu weben, gab Jedermanns Mann. "Mach doch was Eigenes", sagte er zu ihr. "So fing das an." Die beiden hatten sich 1939 kennen gelernt. Den ganzen Krieg hindurch hielt die Liebe Gerd Jedermanns zu seiner Halbjüdin. Und umgekehrt. Der acht Jahre ältere Mann war Grafiker und Maler und musste als Soldat Landkarten zeichnen. Sie konnte 1943 noch ihre Ausbildung an der Meisterschule für Grafik und Buchgewerbe in Berlin abschließen. Eine Zeit lang finanzierte sie ihren Lebensunterhalt mit kleineren, gestaltenden Aufträgen, dann, im Januar 1944, wurde sie und ihre Schwester, da Halbjüdinnen, zur Zwangsarbeit verpflichtet. "Wir mussten Trümmer wegräumen." Ein gefährlicher Job. "Geht doch den Russen entgegen", riet jemand den beiden. Das machten sie. Sie zogen Richtung Osten. Die Gerüchte über Vergewaltigungen ließen sie am Ende aber umkehren. Über Irrwege tauchten sie bei Freunden in Eilsleben auf dem Land unter. "Ich habe die Landarbeit gern gemacht", sagt Jedermann.

Wenn Barbara Jedermann aus der Nazizeit erzählt, ist alles in einen versöhnlichen Ton gehüllt. "Vielleicht weil wir keine Verluste hatten", sagt sie. Zwölf Jahre Faschismus hat sie vergeben. Ihr Vater starb schon 1934. Man hatte ihm nahegelegt, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. "Viele haben das gemacht", sagt Jedermann und sinniert einem Namen nach, der ihr lange nicht einfällt. "Dieser, dieser Rühmann hat das gemacht."

Nach dem Tod des Vaters war niemand mehr da, der die jüdische Mutter in Königsberg schützte. "Plötzlich kannten unsere Nachbarn uns nicht mehr." Freunde sagten, kommt nach Berlin. Von hier wurde 1944 die Mutter nach Theresienstadt deportiert. Als endlich ein Lebenszeichen, eine Postkarte die Töchter erreicht, steht darauf: "Liebes Zwiebelchen, liebes Brötchen, mir geht es gut." Soll heißen: Schickt Zwiebeln, schickt Brot.

Die Mutter überlebt das KZ. Sie wiegt noch 30 Kilo. Was sie im Konzentrationslager erlebt hat, erzählt sie ihren Töchtern nie. 1974 stirbt sie.

An Barbara Jedermanns Teppichen kann man ein halbes Jahrhundert Kunstgeschichte, aber vor allem auch Gesellschaftsgeschichte ablesen. Zuerst kopiert sie Bilder ihres Mannes und spiegelt klassische Familienkonstellationen damit. Als sie sich davon löst, arbeitet sie die Webtraditionen, die vom Bauhaus gelegt wurden, auf.

In den 70er-Jahren aber wird sie politisch und macht farbige Bildteppiche im Stil der naiven Malerei. Darauf verkündet sie klare politische Forderungen - gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Atomkraft nein danke, Resozialisierung von Gefangenen, Lohn für Hausarbeit. Und Anfang der 80er-Jahre, als gegen die Stationierung von Atomwaffen protestiert wird, geht sie mit dem Webrahmen auf die Straße und macht im Stil der "social art", der sozialen Kunst, mit den Passanten zusammen Friedensteppiche. In der Zeit aber, als es beginnt, ihrem Mann gesundheitlich schlechter zu gehen, vertieft sie sich in Landschaftsbilder.

Neun Jahre sitzt ihr Mann im Rollstuhl. Sie pflegt ihn. "Es war eine große Liebesverbindung", sagt sie. Die beiden teilen ihr Faible für die Nordseestrände. Als er schon nicht mehr gehen kann, sitzt er am Fenster des Hotels auf ihrer Lieblingsinsel Amrum. Sie lässt einen Drachen am Strand steigen und wandert damit die Künste entlang. "So konnte er sehen, wo ich war."

Als er 1999 stirbt, webt die damals 80-Jährige den Schmerz in die Teppiche. Dann geht sie auf Reisen. Dreimal fährt sie nach Korea zu Freunden. Sie fährt nach Tunesien, Süditalien, Kreta. Erst kürzlich war sie auf einer Kreuzfahrt in Frankreich.

In ihren Teppichen taucht neuerdings die Farbe Rot auf. "Da findet eine im hohen Alter zur Herzfarbe - nicht zu den Abschiedsfarben Grau, Braun und Schwarz", sagt eine Besucherin auf der Jubiläumsausstellung, die das Verborgene Museum für die Künstlerin zum 90. Geburtstag organisiert hat. Jedermann sagt es anders: "Solange man neugierig ist, solange man was lernen will, ist man frisch trotz des Alters."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.