Protest: Ein Karneval der Meinungen

Das Unbehagen an dem Kraken Überwachungsstaat wächst in weiten Kreisen der Gesellschaft: Zur Demonstration gegen Datensammelwut kommen Zigtausende - Fußballfans, Ärzte, Antifas, FDPler.

Mehrere Zehntausend protestieren gegen den Überwachungsstaat. Bild: DPA

Die zahlreichen Touristen vor dem Wachsfigurenkabinett Unter den Linden sind begeistert: "Heute kannste auf der Straße gehen, da fährt kein Auto", sagt eine Frau zu ihrem Begleiter. Es ist Samstagnachmittag, Tag der Großkundgebung gegen die Datensammelwut von Staat und Wirtschaft. Bei strahlendem Wetter hat die Polizei die Prachtallee gesperrt. Ein buntes Spektrum aus 117 Berufsverbänden, Gewerkschaften und Organisationen von Antifa bis FDP hatte unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn" zum Protest aufgerufen. Auch in Wien, Paris und Prag demonstrieren an diesem Aktionstag Menschen gegen die europaweiten Trends zur Datenspeicherung.

Wie viele Menschen dem Berliner Aufruf am Ende gefolgt sind, bleibt umstritten: Die Polizei spricht später von "in der Spitze etwa 15.000" Teilnehmern, die Veranstalter wollen 100.000 Menschen gesehen haben, nach taz-Schätzung sind es eher 30.000. Die meisten Teilnehmer der Demo sehen jünger als 30 aus. Einige haben Kamera-Attrappen aus Küchenrollen gebaut, die sie an Stangen den Polizisten und Passanten entgegenhalten. "Du bist unschuldig? Beweis es!", steht auf einem Pappschild an einer Kamerastange. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Daten klaut", lautet einer der Sprechchöre. Einige rufen "Freiheit!", wo die anderen "Daten!" rufen. Das ist es, was die Demonstranten fürchten. Dass der "Spannerstaat" in seiner Datensammelwut ihr Leben durchleuchtet, ihre Krankenakten studiert, ihre Gesprächs- und Surfdaten speichern lässt, ihre Gesichter scannt und ihre Fingerabdrücke sammelt. Und dass er dabei keine Grenzen kennt, ganz nach dem Motto "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten".

Auch gegen Unternehmen richtet sich die Wut, gegen den Onlinebuchhändler Amazon etwa, der das Stöber- und Kaufverhalten der Kunden protokolliert. Auch Payback-Rabattkarten sind unter den Demonstrationsteilnehmern nicht gerne gesehen, weil die beteiligten Unternehmen mit den Daten sehr detailreiche Kundenprofile erstellen können. Das Spektrum der Teilnehmer und Forderungen ist bunt, ein Karneval der Einzelmeinungen - und ein Indiz dafür, dass das Unbehagen am Überwachungsstaat in vielen gesellschaftlichen Schichten wächst. Fußballfans wehren sich dagegen, mit Stadionverboten wie "Verbrecher" behandelt zu werden. Die Mediziner der "Freien Ärzteschaft" warnen vor der Erfassung von Patientendaten. Ihre gläsernen Beispielpatienten heißen "Paul Transparent" und "Wieland Glasklar". Die Grünen haben Blankoplakate ausgeteilt, auf die jede und jeder mit Filzstift seine Forderungen schreiben konnte.

Die Kundgebung ist friedlich, nur am Rande des Antifa-Blocks kommt es zu einer Rangelei (siehe Kasten). Mehrere Demonstranten drängen einen Teilnehmer aus dem Zug, weil er eine Jacke der bei Rechtsextremen beliebten Marke "Thor Steinar" trägt. Ein Polizeibeamter mit Kamera filmt die Rangelei diensteifrig mit. Schon wieder ein neuer Datensatz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.