Irakflüchtlinge kommen nach Marienfelde: Fluchtvorbereitung, letzter Teil

In wenigen Tagen kommen die ersten Flüchtlinge aus dem Irak in Berlin an. Wohnen werden sie vorerst im einstigen Notaufnahmelager Marienfelde - nicht alle Bewohner sind darüber glücklich.

Irakische Flüchtlinge in einem deutschen Übergangswohnheim Bild: AP

"So eine Sauerei!", entfährt es Brigitte Schoelkopf. Die 75-Jährige bringt eigentlich so schnell nichts aus der Ruhe. Doch der Aufkleber, mit dem die NPD den Ortsteil Marienfelde in Tempelhof-Schöneberg überzieht, macht sie richtig wütend. In Rot steht dort "Inländerfreundlich"; darunter strahlen zwei Gören mit blonden Zöpfen. Die Rentnerin hat dafür kein Verständnis: "Nur im eigenen Saft kochen ist doch furchtbar!" Berlin sei immer offen gewesen für Flüchtlinge und habe von diesen gelernt. "Das war schon mit den Hugenotten so, die Friedrich Wilhelm anno 1685 willkommen hieß."

Sie selbst wurde 1943 in Marienfelde ausgebombt und war heilfroh, bei der Großmutter in einem anderen Stadtteil Unterschlupf zu finden. Deswegen geht sie an diesem Donnerstagabend zusammen mit anderen Mitgliedern der evangelischen Gemeinde Marienfelde zum ehemaligen Notaufnahmelager. Dorthin hat der Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg eine Bürgerversammlung einberufen - denn nicht alle Marienfelder freuen sich wie Frau Schoelkopf auf die zukünftigen irakischen Nachbarn.

Im Schnellverfahren will der Bürgermeister 130 Flüchtlinge aus dem Irak in den 30.000 Einwohner großen Ortsteil unterbringen - das hat das Land Berlin beschlossen. Am 15. April sollen die ersten im berühmten Übergangslager eintreffen. Sie werden dort die letzten Gäste sein: Das Lager soll zum Ende des Jahres nun wirklich geschlossen werden; eigentlich war die Schließung bereits für 2008 geplant. Insgesamt wird die Bundesrepublik 2.500 Iraker aufnehmen, die EU 10.000. Auf der Flucht vor Gewalt und Leid im Irak ist seit dem Einmarsch der Amerikaner 2003 fast jeder siebte Iraker - das sind zweieinhalb Millionen Menschen. Fast alle davon leben in den völlig überforderten Nachbarstaaten Jordanien und Syrien.

Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) erklärt Schritt für Schritt das Verfahren. Hundert auf Holzstühle gereihte Marienfelder hören ihm zu; kein Platz ist mehr frei. Von "besonders Bedürftigen" ist die Rede, von Kranken, alleinstehenden Frauen und verfolgten Minderheiten. Besonders Christen, aber nicht nur. "Warum verkauft man die uns dann immer als ausschließlich Christen?", brummelt es zwei Reihen entfernt. "Damit wir keine Angst haben!", zischt es zurück. Integrationsfähig und -willig seien die Iraker, fährt der Bürgermeister unterdessen fort. Dann stutzt er und fragt empört: "Wieso lachen Sie da jetzt?"

Manche Marienfelder lachen, denn sie haben nicht wie Frau Schoelkopf Flucht erlebt. Sie verstehen auch nicht Bürgermeister Bands Anekdote, wie er mit seiner Mutter in den Westen floh, wo man gemeinsam etwas aufbaute. Was sie kennen, ist die Geschichte ihres Stadtviertels seit der Wende. Und die erzählen die meisten hier so: immer mehr Ausländer, immer mehr Arbeitslosigkeit, immer mehr Kriminalität. So fragt einer: "Kommen da jetzt Computerspezialisten mit guten Englischkenntnissen? Ich meine, arbeitslose Bauarbeiter haben wir genug!"

Ahmad Al-Hakim vom irakischen Kulturverein sagt, dass die Flüchtlinge wohl gerade die Hölle auf Erden durchgemacht hätten. Verfolgung, Folter, Todesangst, Angst um das Leben ihrer Kinder. Sein Verein werde den Flüchtlingen zur Seite stehen, als Kulturvermittler durch Museumsbesuche und als Dolmetscher beim Arzt, beim Einkaufen und beim Jobcenter. Bürgermeister Band fügt hinzu: "Die Wahrscheinlichkeit, dass die ausgewählten Flüchtlinge hier schnell Lohn und Brot finden, ist relativ hoch." Es handele sich ja wie gesagt um besonders integrationswillige und integrationsfähige Menschen. Gebe es weitere Fragen?

Ein kräftiger Mann mit kurz rasierten Haaren steht auf. "Wie läuft die Integration denn ab?" Andreas Bauer ist in Neukölln aufgewachsen. Als er Angst auf der Straße vor den Kids bekam, zog er nach Marienfelde. In Neukölln habe Integration nämlich nicht funktioniert, das werde man wohl auch mal sagen dürfen! Einige im Raum klatschen. Der Bürgermeister beruhigt, dass alle Iraker vor ihrer Ankunft in Marienfelde einen mehrwöchigen Vorbereitungskurs in Durchgangslager Friedland bei Hannover durchlaufen werden. In Marienfelde müssten sie Deutschkurse belegen - Anspruch hätten sie auf 600 Stunden - sowie Heimatkunde. Auch würden sich die Iraker, wenn sie Arbeit gefunden hätten, wahrscheinlich schnell über die ganze Stadt verteilen. "Aber was, wenn wir auf ihnen sitzen bleiben?", ruft es wieder dazwischen.

Auf ihren Flüchtlingslagerbewohnern "sitzen geblieben" sind die Marienfelder schon einmal. Zuletzt waren in dem ehemaligen Notlager für DDR-Flüchtlinge Russlanddeutsche untergebracht. Die seien nicht in andere Stadtteile gezogen, erzählt der ehemalige Neuköllner Andreas Bauer. Stattdessen wären es durch Familienzuzug immer mehr geworden. Auf einmal standen Geschäfte mit kyrillischer Schrift mitten in Marienfelde. "Und? Das ist multikulti!", ruft Bahdje Schabane zurück. Frau Schabane ist im Kosovo aufgewachsen - "Jugoslawien, ehemaliges Osmanisches Reich". Da kenne man sich aus mit Vielsprachigkeit und Mehrkultur. Und mit den Schwierigkeiten.

Der Bürgermeister versucht erneut zu besänftigen. Nicht alle Iraker würde auf einmal eintreffen. Wahrscheinlich kämen jeweils nur zwei bis sechs Personen; die 130 würde man wohl nur insgesamt über das ganze Jahr erreichen. Eine Frau meldet sich und kritisiert den Wunsch der Marienfelder, die Flüchtlinge schnell in andere Bezirke abzuschieben, anstatt sie endlich in Ruhe zu lassen. Einige klatschen. Sie klatschen auch, als der Bürgermeister sagt, dass 130 Menschen für Tempelhof-Schöneberg wirklich nicht viel seien.

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