Kommentar: Für die eigenen Kids nur das Beste

Nur 16 Berliner Schulen haben sich für das Pilotprojekt Gemeinschaftsschule beworben. Die zukuntsweisende Idee des Senats droht an auf Individualförderung setzende Eltern zu scheitern.

Auch sehr exquisit: Die Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln Bild: AP

15 Berliner Schulen und Schulverbünde sowie eine geplante Schulneugründung in Pankow haben sich für das Pilotprojekt Gemeinschaftsschule beworben. In allen 16 Fällen hätten die Schulkonferenzen und -träger mit deutlichen Voten zugestimmt, teilte die Bildungsverwaltung am Donnerstag mit. Bis Ende November werde entschieden, welche Schulen sich ab dem kommenden Schuljahr 2008/2009 an dem Pilotprojekt beteiligen werden, erklärte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). In der Gemeinschaftsschule sollen alle Schüler von der 1. bis zur 10. Klasse und auch weiter bis zum Abitur gemeinsam unterrichtet werden. Unter den 15 Bewerbungen sind auch zwei Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe. Die weitaus meisten eingereichten Konzepte stammen von Schulen aus den östlichen Stadtteilen. Aus dem Westen Berlins bewarben sich nur zwei Gesamtschulen.

Begeisterung sieht anders aus. Nur 16 Schulen und Schulverbände wollen am Pilotprojekt Gemeinschaftsschule teilnehmen. Kein einziges der gut 100 Berliner Gymnasien will sich für alle öffnen. Aus dem Westteil der Stadt haben sich gerade mal zwei Gesamtschulen zur Bewerbung durchgerungen. So wird das zukunftsweisende Projekt vielleicht einmal das Berliner Schulangebot um eine weitere Facette ergänzen. Zu dessen Grundsäule wird es aber nicht.

Dabei hat der Senat alles richtig gemacht. Bei den Pisa-Vergleichsstudien schneiden deutsche Schüler stets katastrophal ab, weil sie sehr früh in verschiedene Leistungsklassen getrennt werden. Vor allem die Linkspartei hat daraus die Konsequenz gezogen und das Modellprojekt bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD durchgesetzt. Zugleich hat der Senat darauf verzichtet, die Reform von oben zu verfügen. Und stattdessen darauf gehofft, dass sich engagierte Lehrer und Eltern für den Modellversuch begeistern.

Hier aber hapert es gewaltig. Denn das Vertrauen der Eltern in die staatliche Bildung ist längst verschwunden. Teils weil die Schulen aufgrund eines rigorosen Sparkurses tatsächlich schlecht ausgestattet sind. Teils weil sich quer durch alle Weltanschauungen der Hype des Individualismus durchgesetzt hat. Aus Angst, das eigene Kind könne den Anschluss schon vor dem Abschluss der Schule verlieren, kommt für den Nachwuchs nur das Beste in Frage: ein Gymnasium. Oder gleich ein Privatschule.

Das gilt nicht nur im klassischen Bürgertum. Linksliberale Eltern mögen die Chancengleichheit bei der Bildung zwar theoretisch verfechten, in der Praxis aber suchen sie ein ganz auf die individuellen Begabungen der lieben Kleinen zugeschnittenes Institut. Mit mehr Fremdsprachen, mehr Montessori, mehr Kreativität oder mehr Religion, als es irgendeine staatliche Schule selbst mit bester Ausstattung je bieten könnte.

Der Idee Gemeinschaftsschule werden diese Eltern erst nachtrauern, wenn der Teenager zu Hause wider Erwarten dem Lerndruck nicht mehr standhält. Dann aber ist es zu spät.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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