Neues S-Bahn-Chaos: Junge-Reyer mahnt S-Bahn ab

Berlins Verkehrssenatorin schickt Bahn "blauen Brief" und droht in der Abmahnung mit Vertragskündigung 2017. Opposition fordert ihren Rücktritt, Wowereit lehnt dies ab.

Da kommt nix: Wartende Fahrgäste am Bahnhof Alexanderplatz Bild: AP

Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) droht der Bahn AG mit der Kündigung des S-Bahn-Vertrags. Die Umstände, die zur erneuten S-Bahn-Krise und seit Dienstag zu einem massiven Ausfall von Zügen führten, hätten das Vertrauen so nachhaltig gestört, "dass die Bahn eine Abmahnung erhält". Für den S-Bahn-Mutterkonzern Deutsche Bahn AG bedeute dies ein "klares Signal", dass es keine automatische Option zur Vertragsverlängerung nach 2017 gebe. Gleichzeitig forderten am Dienstag die Berliner Oppositionsparteien den Rücktritt Junge-Reyers.

Die Senatorin, sagte ihre Sprecherin Petra Rohland zur taz, sei neben dem neuerlichen S-Bahn-Desaster insbesondere darüber verärgert, dass Bahnvorstand Ulrich Homburg am Montag beim "vierten S-Bahn-Gipfel" mit keinem Wort die aufgetretenen Materialschäden bei den Bremsen und die möglichen Folgen thematisierte.

Die S-Bahn kann auch heute nur einen bruchstückhaften Verkehr anbieten. Ein stabiler Notfahrplan werde noch nicht möglich sein, erklärte am Dienstag eine Bahn-Sprecherin. Erst am Donnerstag sollen konkrete Zahlen und ein umfangreicher Notfahrplan veröffentlicht werden.

Derzeit heißt das im Einzelnen: Auf der Stadtbahn zwischen Alexanderplatz und Westkreuz fahren weiterhin keine Züge. Kein Verkehr besteht ebenfalls auf den Linien S 45, S 47, S 75 und S 85.

Auf den übrigen Linien gilt mit einigen Ausnahmen ein 20-Minuten-Takt. Allerdings wurde dieser vor allem in den Morgenstunden am Dienstag nicht eingehalten, Fahrgäste mussten zum Teil mehr als 30 Minuten auf einen Zug warten. Entlang der Nord-Süd-Achse fährt nur die S 1 ihre komplette Strecke (Potsdam-Oranienburg) ab, die Linien der S 2 und S 25 fahren nur außerhalb der Innenstadt. Auf der Ost-West Achse und den Linien S 3, S 5, S 7, S 8 und S 9 sieht die Situation genauso aus.

Die Ringbahnlinie wird in beiden Richtungen im 10-Minuten-Takt bedient. Überall sind die Züge kleiner und damit der Fahrkomfort eingeschränkt. Fahrgäste sollten nach Möglichkeit auf die Verkehrsmittel der BVG und Züge des Regionalverkehrs umsteigen. Die Linie RE 1 verkehrt zwischen Potsdam und Berlin-Ostbahnhof und hält an einigen Bahnhöfen in der Innenstadt.

Die Fahrplaninformationen im Internet auf www.bvg.de oder www.sbahnberlin.de sind noch nicht auf den neuen Notfahrplan hin aktualisiert, es gibt allerdings die Funktion, S-Bahnen als Verkehrsmittel auszublenden. In den angefahrenen Bahnhöfen stehen Mitarbeiter zur Auskunft bereit, beim S-Bahn-Kundentelefon mit der Nummer (030) 29 74 33 33 muss man ebenfalls lange Wartezeiten einplanen. MA

Am Abend verkündete dann Homburg einen neuen "Notfallplan". Zugleich gab er den Ausfall von drei Viertel der S-Bahn-Flotte auf unbestimmte Zeit bekannt. Rohland: "Wir wurden regelrecht davon überfahren." Mit der Abmahnung drohe Junge-Reyer nun mit einem Vertragsende. Der Bahn AG werde unmissverständlich klargemacht, dass das Land Berlin sich auch "einen anderen Partner" für die Stadtbahn vorstellen könne. Der Vertrag läuft bis 2017, eine vorzeitige Kündigung sei seit 2008 nicht mehr möglich, so Rohland.

Am Dienstag legte die Bahn noch einmal ihre Version der Ausfälle durch das defekte Bremssystem dar. Bei einer "turnusmäßigen Kontrolle" vor zwei Wochen hätten Techniker ein defektes Bauteil an einem S-Bahn-Bremszylinder entdeckt. Am Montagnachmittag seien bei weiteren Kontrollen bei einem Viertelzug gleich vier defekte Bremszylinder - von insgesamt acht pro Zug - festgestellt worden. Alle möglichen betroffenen Wagen seien im "Interesse der Sicherheit" daraufhin aus dem Verkehr genommen worden, so ein Bahnsprecher zu taz.

Warum im Rahmen der Werkstattkontrollen für die Räder die Bremsen nicht geprüft wurden, ließ die Bahn bisher ebenso unbeantwortet wie die Frage, aus welchem Grund beim "S-Bahn-Gipfel" am Montagmorgen das Bremsenproblem nicht thematisiert wurde.

Zugleich wuchs am Dienstag der Drück auf Junge-Reyer und die Bahn. Die Oppositionsparteien forderten den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit auf, Junge-Reyer sofort zu entlassen. Es sei schwer vorstellbar, dass eine Verkehrssenatorin dem Land Berlin einen größeren Schaden zufügen könne, als es Junge-Reyer durch ihr Totalversagen beim Verkehrsvertrag getan hat, heißt es in der gemeinsamen Presseerklärung von CDU, Grünen und FDP.

Wowereit wies die Forderung als "absurd" zurück. Junge-Reyer engagiere sich wie keine andere dafür, "das Beste aus der Situation zu machen". Gesondert davon haben die Grünen eine Unterschriftenaktion gestartet. Mit mindestens 10.000 Unterschriften bis Mitte Oktober wollen sie eine Neuverhandlung des S-Bahn-Vertrags zwischen dem Land und der Bahn erreichen.

Die verkehrspolitische Sprecherin der Linkspartei, Jutta Matuschek, forderte, das Herauslösen der S-Bahn aus dem DB-Konzern zu prüfen, um diese dann als eigenständiges Unternehmen in öffentlicher Hand zu etablieren. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Christian Gaebler, gab an, sich dafür einsetzen zu wollen, dass bis zur Wiederherstellung eines geregelten S-Bahn-Verkehrs sofort alle Zahlungen an die S-Bahn Berlin eingestellt werden.

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