Zeugnisse für Lehrer: Lehrer haben nichts zu lachen

Bei der Zeugnissvergabe am Dienstag kommen manche Lehrer ganz schlecht weg, auf Spickmich.de hagelt es geradezu schlechte Noten durch anonyme Schüler. Den Lehrern passt das gar nicht

Immer wieder heiß begehrt: Zeugnisse an Berliner Schulen Bild: AP

Heute gibt es Zeugnisse und Frau S. bleibt wohl sitzen. Die Lehrerin hat einen Notendurchschnitt von 4,1. In den Kategorien "menschlich" und "cool und witzig" steht sie 5, ihre Motivation und ihr Unterricht werden mit 4 minus bewertet. Die Schüler von Frau S. haben gesprochen. 14 Pennäler eines Berliner Gymnasiums benoteten die Physik- und Mathelehrerin im Internet. Doch während die Leistungen ihrer Schützlinge geheim bleiben, kann man Frau S. Zeugnis als PDF-Datei aus dem Netz laden und ausdrucken. Mit Ort, Datum, Unterschrift und Stempel - ganz offiziell ausgestellt von Spickmich.

Am Mittwoch beginnen für 328.380 Schüler die Sommerferien. Das bedeutet aber nicht nur Spaß, sondern auch: Zeugnisse! Die werden heute verteilt und gleichzeitig die Sorgentelefone freigeschalten. Zwischen 10 und 13 Uhr helfen Experten verzweifelten Kindern und Jugendlichen unter folgenden Rufnummern weiter: 9026-5837 (Bereich Grundschulen), 9026-5834 (Sonderschulen), 9026-5494 (Hauptschulen), 9026-5829 (Realschulen), 9026-5865 (Gesamtschulen), 9026-5839 (Gymnasien), 9026-5499 (Berufsbildenden Oberschulen). Strafen und Schimpfen bringt den Schülern nichts - so viel steht fest. Lehrreicher hingegen ist ein Besuch in den Staatlichen Museen und heute noch dazu kostenlos für Schüler und auch ihre Eltern oder Großeltern.

Spickmich.de nennt sich die Website, auf der Schüler ihre Notengeber bewerten. Einen Ort für Rache vermuten die Initiatoren der Seite nicht. Es gehe um eine faire und anonyme Bewertung. "Man darf nicht sagen, das Klassenzimmer ist das Wohnzimmer des Lehrers", findet Bernd Picks von Spickmich. Die Privatsphäre sieht er nicht berührt.

Seit Februar 2007 ist Spickmich online. Deutschlandweit haben sich knapp eine Million Schüler registriert, davon 20.000 in Berlin. 10.500 Lehrer der Hauptstadt wurden benotet - die Durchschnittsnote liegt mit 2,7 genau im Bundesschnitt. Am besten schneiden Religionslehrer ab. Ihr Zeugnis erreicht eine 2 minus (2,3). Auf den Plätzen folgen Latein- (2,4) und Mathepauker (2,6). Deutlich unter dem Notenschnitt liegen Chemie- (2,8) und Französischlehrer (2,9). Ganz hinten schließen sich die Schulleiter an. Sie bekommen im Schnitt eine 3,3.

Nie sind alle begeistert, wenn es Noten gibt. "Das Fatale ist, dass der direkte Kontakt anonymisiert wird", bemängelt Peter Sinram von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin. Auf die Notenvergabe folge bei Spickmich selten ein Austausch zwischen Lehrer und Schüler, so Sinram.

Doch während die Berliner Pädagogen Spickmich bisher tolerieren, gab es in Nordrhein-Westfalen mehrere Klagen gegen die Website. Anfang Juli lehnte das Oberlandesgericht Köln die Beschwerde einer Gymnasialehrerin aus Moers ab. Die Pädagogin (Note derzeit 3,5) fühlt sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft NRW gewährte Rechtsschutz. Justitiar Mario Sandfort befürwortet eine Revision - notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.

Dabei erscheint das Benoten der Lehrer harmlos gegen das, was Schüler im Internet anderswo verbreiten. SchülerVZ nennt sich ein Online-Netzwerk, über das sich über drei Millionen deutsche Jugendliche austauschen. Sie plaudern online über Fußball, Rap und Liebe - oder eben über Schule. Die Diskussion über die Lehrerin S. füllt das Forum ihres Berliner Gymnasiums. Seitenlang reihen sich die Einträge aneinander. Statt Noten Beleidigungen: Die Begriffe "Schlampe", "Fotze" und "Hure" zählen zum gängigen Wortschatz.

Auch der Aufstand im Klassenzimmer wird online geplant. Keine Hefte rausnehmen, ihr den Rücken zukehren oder einfach rausgehen - das sind die Vorschläge, die im Internetforum kursieren für die Rebellion gegen die Lehrerin. Ein Gymnasiast gibt die Zielsetzung vor: "bis sie heulent rausrennt". Gegenseitig puschen sich die Schüler in dem Forum hoch. "S. ist tot!", lautet das neue Gesprächsthema. Schnell relativiert der 16-jährige Verfasser seine Meldung: "wäre auch echt zu schön!" Gleich darauf ruft er dann aber tatsächlich zum Mord auf: "lass sie mal morgen in den see schmeißen sodass sie ertrinkt".

Anders als bei Spickmich sind die Einträge bei SchülerVZ keineswegs anonym - und sie bleiben lange sichtbar. Christiane Biederlack von SchülerVZ erklärt: "Sobald wir auf Personen aufmerksam gemacht werden, die unsere Regeln missachten, überprüfen wir diese." Benutzer würden gegebenenfalls gelöscht. Die Verfasser können auch strafrechtlich belangt werden. Das Notengeben auf Spickmich ist dagegen gefahrlos.

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