Franziska Drohsel: "Man muss den Mund aufmachen"

Die neue Juos-Bundesvorsitzende ist frisch gekürt - und geriet prompt in die Kritik. Im Interview kündigt die 27-jährige Juristin an, keine Berufspolitikerin werden zu wollen.

Franziska Drohsel bei ihrer Rede vor dem Bundesjusokongress Bild: AP

taz: Frau Drohsel, Sie sind seit 12 Jahren bei den Jusos und seit 9 Tagen Bundesvorsitzende. Haben Sie eigentlich noch Freunde außerhalb der Jusos?

Franziska Drohsel: Ja, das ist mir auch sehr wichtig. Ich brauche ein Privatleben, damit ich mit Leuten außerhalb des Verbandes über das reden kann, was ich politisch mache.

Also doch wieder über Politik.

Mit einigen Freunden rede ich auch über Politik, weil es wichtig ist von Leuten, die nicht im Juso-Saft schmoren, eine Rückmeldung zu bekommen.

Freunde brauchen Sie jetzt sicher: Die CDU hat wegen Ihrer Mitgliedschaft in der Roten Hilfe Ihren Rücktritt gefordert. Auch aus der SPD kam Kritik. Wie fühlten Sie sich dabei?

Die Dimension einer solchen Debatte ist für mich natürlich neu. Die Diskussion wurde vor allem von Teilen der Union sehr unsachlich und diffamierend geführt. Das ist für mich befremdlich. In solchen Situationen sind Menschen, die einem nahe sind, extrem wichtig.

Haben Sie mit dem Austritt aus der Roten Hilfe nicht einen Teil Ihrer Überzeugung über Bord geworfen?

Nein. Ich habe eine Mitgliedschaft aufgegeben, aber ich teile weiterhin das Grundanliegen der Roten Hilfe, Rechtsbeistand für verhaftete und mittellose Menschen, die etwa bei linken Demonstrationen festgenommen wurden, zu organisieren. Dafür werde ich mich auch weiterhin engagieren. Damals bin ich eingetreten, weil ein Freund von mir auf einer Demo gegen einen Nazi-Aufmarsch verhaftet wurde. Die Rote Hilfe hat damals geholfen und ihm einen guten Anwalt besorgt.

Was andere dröge finden, berauscht sie: Grundsatzdebatten führen, Plakate kleben, Flugblätter verteilen. Mit 15 Jahren trat Franziska Drohsel in den Berliner Landesverband der Jungsozialisten ein, jetzt wurde sie mit 27 Jahren zur Bundesvorsitzenden gewählt. Prompt geriet sie als Mitglied der Roten Hilfe in die Kritik und trat aus der als linsextremistisch beargwöhnten Organisation aus. Aufgewachsen ist die angehende Juristin in Steglitz, der Vater ist Berufsschullehrer, die Mutter zur Zeit arbeitslos.

Macht Politik eigentlich süchtig?

Nein, das nicht. Aber die Gefahr, dass man immer mehr macht, dass man als Mensch aufgefressen wird, ist schon da. Es gibt immer noch was, wofür man sich einsetzen kann ...

... und Sie hören nicht auf, bis alle Misstände beseitigt sind.

Ja, das ist meine tägliche Motivation politisch zu arbeiten. Einfach aufzugeben und hinzunehmen, dass alles so ist, finde ich deprimierend.

Sind Sie Gerechtigkeitsfanatikerin?

Gerechtigkeit ist für mich tatsächlich wichtig. Es ist nicht hinnehmbar, dass es in einem solch reichen Industrieland so viele Menschen gibt, die in Armut leben müssen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass jedes Jahr etliche Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden.

Wo treffen Sie diese Menschen?

Ich lebe in Berlin und man muss hier nur mit offenen Augen durch die Stadt laufen, um zu sehen, wie viele Missstände es in der Gesellschaft gibt. Außerdem bin ich natürlich auch bei Diskussionsveranstaltungen in Schulen.

Wie reagieren die Schüler auf Sie?

Also, die Reaktionen motivieren mich eher. Ich merke, dass viele Schüler vom Grundgefühl her links sind.

Rechte Meinungen sind Ihnen nie begegnet?

Ehrlich gesagt, nein.

Finden Sie das nicht merkwürdig?

Ja, vielleicht ist das kein Zufall. Mir ist schon klar, dass es das gibt.

Wie oft sind Sie denn in Lichtenberg im Weitlingkiez?

Im Weitlingkiez haben wir im Wahlkampf Plakate aufgehängt: "Berliner Weiße mit Schuss". Das war schon deprimierend: Uns ist nichts passiert, aber wir sind angepöbelt worden, was denn der Scheiß solle.

Von wem?

Das waren Passanten, jüngere und ältere. Wir waren zu zehnt, aber ich habe mich dort unwohl gefühlt.

Wie haben Sie reagiert?

Bei uns gilt grundsätzlich: "Mit Nazis wird nicht diskutiert." Dementsprechend haben wir dann auch reagiert.

Mit Gleichgesinnten zu diskutieren ist leicht. Wieso reden Sie nicht mit Jugendlichen, die die NPD toll finden?

Ich finde, der Satz "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" sollte auch im politischen Umgang gelten.

So erreichen Sie nur die Menschen, die mit Ihnen einer Meinung sind.

Es gibt Unterschiede zwischen Nazis und beispielweise Schülern. Mit Schülern würde ich schon diskutieren. Wir verteilen auch die Zeitung Platzverweis und machen damit deutlich, dass wir Nazis nicht den öffentlichen Raum überlassen.

Würden Sie sich damit auch vor den Bahnhof Lichtenberg stellen?

Natürlich, ich habe, wie gesagt, Plakate aufgehängt. Genauso wie ich früher in Rudow Flugblätter verteilt habe. Ich stand um halb acht vor meiner Schule und habe Flugblätter verteilt.

Halb acht?

Ja, um diese Uhrzeit beginnt man damit, es kommt ja immer mal jemand zu früh.

Was hat Sie mit 15 Jahren dazu bewogen, sich bei den Jusos zu engagieren und nicht bei der Antifa oder Greenpeace?

Bei den Jusos kann man sowohl aufs Regierungshandeln Einfluss nehmen, als auch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wirken über Demonstrationen, Flugblätter und Veranstaltungen. Da ich soziale Ungleichheit schon immer als ungerecht empfand, wollte ich als Jugendliche dazu beitragen, dass sich etwas ändert.

Das haben Sie sich mit 15 Jahren so überlegt?

Nee, damals lief es zufälliger. Ich habe bei einer Schülergruppe mitgemacht, die gegen die französischen Atomtests auf dem Mururoa-Atoll prostestiert hat. Und da hatte ich das Gefühl, ich bin bei Menschen, die die gleichen Dinge als Problem sehen und ähnliche Lösungen suchen.

Welche Lösung schwebt Ihnen vor?

Ich denke, soziale Ungleichheit resultiert daraus, dass wir in einem kapitalistischen System leben. Ich kämpfe also für eine Gesellschaft von Freien und Gleichen, für einen demokratischen Sozialismus. Dafür streitet auch die SPD, da bin ich mit der Partei auf einer Linie.

So weit interpretieren Sie das SPD-Grundsatzprogramm?

Ja, die grundlegende Vision ist, den demokratischen Sozialismus irgendwann zu erreichen.

Waren Sie mal im realen Sozialismus, in der DDR?

Nein, ich bin da nur durchgefahren mit meinen Eltern. Der Sozialismusbegriff der DDR hat mit meinem auch nichts gemein. Für mich gilt eher: "Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden".

Sie haben Ihre Rosa Luxemburg gelesen.

Zumindest einige Werke, "Massenstreik" zum Beispiel. Wir hatten Sonntags immer einen Lesekreis bei den Jusos. Marx und Engels haben wir damals auch gelesen.

Wie alt waren Sie damals?

Ich war 16 oder 17 Jahre.

Wie kamen Sie als 16-Jährige dazu, die Sonntage mit Marx zu verbringen?

Ich fand, dass die Gesellschaft viele Fragen aufwirft, zum Beispiel, warum es soziale Ungleichheit geben muss. Das leuchtet mir heute noch nicht ein. Ich habe nach Antworten gesucht. Wir haben diese Werke gelesen und mit den Genossen darüber diskutiert. Das war interessant und hat mir damals viel gebracht.

Sie wollen Ihren Verband stärker mit sozialen Bewegungen vernetzen. Wie globalisierungskritisch sind Sie, waren Sie in Heiligendamm?

Ich habe in Prag und Genua protestiert und natürlich auch jetzt in Heiligendamm. Und ich lese viel, organisiere Veranstaltungen.

Und McDonald's meiden Sie, selbstverständlich...?

Ich bin nicht so konsumkritisch eingestellt. McDonald's mag ich eh nicht, aber neulich habe ich mir abends auf einem Bahnhof Pommes geholt.

Dürfen Sie als Juso-Vorsitzende eigentlich noch auf Demonstrationen fahren?

Natürlich, auf jeden Fall. Ich finde, das gehört zur linken politischen Tätigkeit dazu.

Die SPD ist auf der G8-Demo nicht in Erscheinung getreten. Haben Sie trotzdem das Gefühl in der richtigen Partei zu sein?

Es gab Situationen, wo ich ernsthaft überlegt habe, ob ich in der richtigen Partei bin. Das war so beim Kosovo-Krieg und als die Agenda 2010 beschlossen wurde. Aber ich bin überzeugt, dass eine fortschrittliche Politik ohne die SPD auf Dauer nicht möglich sein wird. Deshalb ist es notwendig, dass wir als Linke um die SPD kämpfen.

Es wird sicher nicht ganz einfach, sich beim gesetzten Parteivorstand mit linken Positionen Gehör zu verschaffen.

Da muss man eben den Mund aufmachen und um seine Positionen kämpfen.

Sind Sie, wie die einstige WASG der Meinung, dass die Sozialdemokraten in Berlin eine neoliberale Politik machen?

Wir Jusos haben einzelne Punkte kritisiert, zum Beispiel den Ausstieg aus dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Aber die Schritte in Richtung Gemeinschaftsschule oder den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor finde ich positiv.

Das sind allerdings beides Projekte, die die Linke in den Koalitionsvertrag diktiert hat.

Nein, das kann man so nicht sagen. Beide Projekte diskutieren wir schon sehr lange in der SPD und wir haben eine klare Positionierung dazu.

Sie haben den Regierungsjargon schon ganz gut drauf.

Das finde ich aber nicht.

Wollen Sie Berufspolitikerin werden?

Ich bin auch leidenschaftliche Juristin und möchte meine Promotion unbedingt beenden. Berufspolitikerin möchte ich also nicht werden. Aber ich will noch viel erreichen, darum bin ich ja jetzt Juso-Vorsitzende.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN UND VEIT MEDICK

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