Kommentar: Mehr Zeit, nicht nur für Geschichte

Immer weniger Schüler besuchen die Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg. Schuld daran sind nicht Lehrer und Schüler, sondern das Bildungssystem.

ugegeben: Gedenkstätten sind sicherlich nicht der Inbegriff von Coolness. Doch so richtig beliebt waren sie wohl bei keiner Schülergeneration. Deshalb kann ein wachsendes Desinteresse der Jugendlichen nicht der Grund sein, warum die Gedenkstätten in und um Berlin einen zum Teil dramatischen Rückgang an Schülergruppen verzeichnen. Es liegt auch nicht am schwindenden Engagement der Lehrer. Hauptproblem ist, dass die Schulen heutzutage schlichtweg nicht mehr in der Lage sind, allen Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden.

Diese Anforderungen sind hoch. Und sie müssen es sein. Denn die Schule ist ein wesentlicher Baustein, um die Jugendlichen in die Gesellschaft zu führen. Deshalb darf der Unterricht keineswegs beim Rechnen und Schreiben enden. Auch die Konfrontation mit der nicht immer einfachen Geschichte Deutschlands muss zentrales Element des Unterrichts sein. Und keine andere Stadt ist besser dafür geeignet, Kindern und Jugendlichen die verschiedenen Zeitschichten erfahrbar zu machen. Denn Berlin ist randvoll mit Spuren der Geschichte. In der Regel müssten Schulklassen nur ein paar Straßen weiterziehen, um spannende Orte zu erleben.

Nicht nur für solche Kurzausflüge fehlt die Zeit. Auch die Initiatoren des Volksbegehrens "Pro Reli" beklagen, dass sich zu wenig Schüler für Religionskunde begeistern, weil sie zu sehr mit anderem Stoff belastet sind.

Der wesentliche Grund für diesen Stress liegt auf der Hand: Die Verkürzung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre. Wer Schulen in durchökonomisierte Ausbildungsanstalten verwandelt, deren oberstes Ziel ist, den Nachwuchs so schnell wie möglich an die Unis zu spülen - damit er von dort nach einer Minimalstudienzeit Richtung Arbeitsmarkt eilt -, wer eine solche Politik macht, darf sich nicht wundern, wenn am Ende junge Menschen von vielem keine Ahnung haben.

Nicht die Jugend von heute ist doof. Doof ist ein Bildungssystem, das Schülern und Lehrern keine Zeit mehr lässt.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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