Der Tag mit Mister O. in Berlin: Obama dich unser!

Barack Obama versetzt die Stadt in Ekstase: Fans des Präsidentschaftskandidaten drängen sich vor dem Hotel Adlon und am Kanzleramt. Etwa hunderttausend Menschen kommen zur Siegessäule.

U.S. Democratic presidential candidate Senator Obama speaks to Berlin Mayor Wowereit Bild: AP

9:20 Uhr, Besucherterrasse, Flughafen Tegel: Mehrere Kamerateams postieren sich und nehmen den militärischen Bereich des Flughafens ins Visier, wo er landen soll.

9:49 Uhr, Besucherterrasse: Alle Kameras drehen sich plötzlich um 90 Grad nach Westen und filmen den Himmel. Ganz klein sieht man ein Flugzeug.

9:50 Uhr, Flugfeld: Eine Maschine ist gelandet. "Change" steht in großen schwarzen Buchstaben auf der weißen Boing.

10:10 Uhr, Besucherterrasse: Zwei Männer kommen. Sie tragen weiße T-Shirts mit dem Aufdruck: "Hello and Welcome, Mr. Obama". Einer von ihnen, Knut Gernat, sagt: "Ich möchte Medienaufmerksamkeit erregen." Seit 2003 darf er seine US-amerikanische Ehefrau nicht mehr besuchen, die schwerbehindert in Florida lebt.

10:36 Uhr, militärischer Teil des Flughafens: Ein Dutzend Wagen setzt sich in Bewegung, Obama war nirgends zu sehen.

10.58 Uhr, Kanzleramt: Hinter den Absperrungen um die Ausfahrt stehen etwa 200 Wartende. Obama steigt aus einer weißen Limusine, winkt kurz, verschwindet. Aus der Menge ragt ein rosa-pink-türkis gestreifter Regenschirm. An ihm hängen Schilder, auf denen "McCain" steht. "Unter dem Schirm kann man die Zettel später, wenns zur Fanmeile geht, gut verstecken", erklärt sein Besitzer, ein Mittsechziger.

12:07 Uhr, Kanzleramt: Bewegung kommt in die Menge. Zwei Polizeimotorräder verlassen das Gelände, Obamas Wagenkolonne kommt in schnellem Tempo hinterher. Sie ist weg, bevor der Jubel losgehen konnte.

12:13 Uhr, Otto-von-Bismarck-Allee: Mehrere Kameras umringen den Mittsechziger mit dem McCain-Regenschirm. "McCain ist zu alt, um etwas zu verändern", schimpft ein Mann mit schwäbischem Akzent.

12:39 Uhr, nahe dem Adlon: Etwa 300 Menschen warten. Es geht das Gerücht, Obama werde um 13 Uhr vor das Hotel kommen. Polizisten versuchen die Schaulustigen von der Straße zu drängen: "Der Gehweg ist da, wo die Kante ist", blökt einer.

13:05 Uhr, Pariser Platz: Der McCain-Anhänger gibt ein weiteres Fernsehinterview. "McCain war sechs Jahre in Vietnam. Er weiß, wie man Soldaten nach Hause schickt, auch aus dem Irak."

13:45 Uhr, Pariser Platz: Ein Leierkastenspieler in beigem Frack und rötlichen Cowboystiefeln stimmt ein Lied an. "Oh, Amerika, du hast die Wahl, sag jetzt ja zu Obama."

13:55 Uhr, vor dem Auswärtigen Amt: Außer einigen Polizeiautos ist nichts davon zu sehen, dass Obama dort um 14 Uhr einen Termin mit Frank-Walter Steinmeier haben soll. Einige Bauarbeiter sitzen im Schatten und essen Linsensuppe mit Bockwurst. "Mir geht Obama am Arsch vorbei", sagt einer.

14:08 Uhr, Hinterausgang des Adlon: Obama kommt ins Freie. An der Hintertür des weißen Chevrolet bleibt er kurz stehen und hebt zweimal seine Hand. Dann steigt er ins Auto. Ein Mann afrikanischer Herkunft in der ersten Reihe fängt zu klatschen an, andere stimmen ein.

14:13 Uhr, Behrenstraße: "Das war ja wohl eine Verarschung", sagt ein älterer Mann zu seiner Frau. "Wir sind extra aus Bremen gekommen und haben gerade eineinhalb Stunden gewartet", erzählt er.

14:36 Uhr, Unter den Linden: Lange Schlange vor dem Oval Office. Ob es ein Werbegag dieses Currywurstimbisses ist, fragt ein Kunde. Nein, sagt Imbissverkäufer Dennis. "Wir heißen immer so. Aber wieso?"

14.53 Uhr, vor dem Adlon: Knut Gernat, der Aktivist, dem das Visum verweigert wird, sagt: "So viele Interviews wie heute habe ich noch nie gegeben."

15:01 Uhr, vor dem Absperrgitter: 200 Obama-Fans warten auf Einlass.

15:08 Uhr, Checkpoint Charlie: Die Schauspielstudenten, die sich hier stets fotografieren lassen, sind gut vorbereitet. Heute tragen sie nur US-Uniformen - keine russischen. David Jackson hat vor der Sandsackmauer ein Schild drapiert: "Yes, we can" steht darauf. Er hat einen dicken Edding dabei. Falls Obama kommt, soll er das Schild signieren.

15:04 Uhr, Auswärtiges Amt: Barack Obama verlässt das gläserne Gebäude und fährt wieder zum Adlon.

15:10 Uhr, Hotel Adlon: Bernd Schneider (64) steht hier zufällig. Es ist nicht das erste Mal. 1999, als der damalige US-Präsident Bill Clinton spontan mit Kanzler Schröder das Restaurant Gugelhof in Prenzlauer Berg betrat, sei er ebenfalls dabei gewesen. "Plötzlich ging die Tür auf, und sie standen vor mir", erinnert er sich.

15:35 Uhr, Hotel Adlon: Gedränge unter den rund 300 Obama-Groupies, Limousinen fahren vor. Obama steigt freundlich winkend aus und betritt das Hotel wieder. "Nun haben wir ihn doch noch gesehen", freut sich Gisela Hunzig (63) aus Köln. "Ach was", sagt ihr Mann Walter. Obama würde die Dinge auch nicht anders machen als seine Vorgänger. "Das ist einfach Amerika. Das Land lebt vom Krieg."

15:45, Checkpoint Charlie: Zwei ältere Herren fahren mit einem weißen Lkw vor. Am Führerhaus ist eine US-Fahne befestigt, hinter der Windschutzscheibe sieht man das Schild "Tempelhof retten". Die beiden Männer steigen aus, einer sagt: "Tempelhof ist Amerika, Amerika ist Tempelhof." Er sei schon seinerzeit beim Kennedy-Besuch vorm Rathaus Schöneberg gewesen. Jetzt sind sie für Obama.

15:50 Uhr, Hotel Adlon: Klaus Wowereit (SPD) ist zu einem Gespräch mit Barack Obama im Hotel Adlon eingetroffen.

15:55 Uhr, 100 Meter vor der Siegessäule: Das Absperrgitter wird geöffnet. Etwa 500 Leute stürmen, schupsen und laufen Richtung Bühne.

16:10 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: Caroline aus Kalifornien ist extra für Obama aus ihrem Wohnort Prag gekommen. Ihren Rucksack allerdings durfte sie nicht zur Siegessäule nehmen. "Ich habe ihn im Tiergarten versteckt", sagt sie. "Falls er geklaut wird, nicht so schlimm. Hauptsache, ich sehe Obama."

16:20 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: Ein afrikanisches Baby schläft in den Armen seiner Mutter. Die vielen Menschen, die Enge und der Zigarettengeruch lassen die Kleine völlig kalt. Bewegen kann man sich so weit vorne schon jetzt nicht mehr.

16:36 Uhr, Behrenstraße: Obama kommt aus dem Hinterausgang des Adlon, winkt zwei Sekunden und steigt in die weiße Limousine. Ein Tross von mindestens 12 Wagen braust los und erreicht vier Minuten später das Ritz-Carlton am Potsdamer Platz. Auch hier sammeln sich binnen Minuten hunderte Menschen. Unter Journalisten wird gemunkelt, der Kandidat wolle dort ein wenig Sport treiben.

16:40 Uhr, Unter den Linden/Wilhelmstraße: Mehrere "Kunstperformer" demonstrieren für Kerry/Edwards, die demokratischen Präsidentschaftskandidaten der vergangenen US-Präsidentschaftswahlen. Ein Demonstrant mit Zwergenmaske und Superman-Kittel wedelt mit einer aufblasbaren Weltkugel, während ein bunt gekleideter Hippie singt: "The beginning of the end of America".

17:05 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: "Ich bin heute gekommen, um Obamas Botschaft zu empfangen", sagt Elvis aus Kamerun. Der 31-Jährige lebt und arbeitet in Berlin, er klingt wie ein Prophet, der auf seinen Herrn wartet.

17:08 Uhr, Potsdamer Platz: Ein älteres Ehepaar gerät in Streit. Sie will ins Sony-Center, er auf Obama warten. "Nur fünf Minuten", bettelt sie.

17:10 Uhr, Straße des 17. Juni: Zahlreiche Bauchtische bieten Obama-Buttons und Obama-T-Shirts feil. "Das Geschäft läuft gut", sagt einer der Verkäufer.

17:13 Uhr, Potsdamer Platz: "Ich seh nix, ich seh nix", hallt es durch die Menge. Der Jubel aus den vorderen Reihen lässt vermuten, dass Obama wieder aus dem Ritz-Carlton gekommen ist. Seine Fahrzeugkolonne düst zurück zum Hotel Adlon wenige hundert Meter entfernt.

17:16 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: Finula hat sich auf das Absperrgitter gestellt, das nur fünf Meter Luftlinie vom Rednerpult verläuft. Sie telefoniert mit ihren Freunden irgendwo in der Menge. "Könnt ihr mich sehen", brüllt sie in ihr Handy. "Ich bin hier, hier!"

17:23 Uhr, Hintereingang Adlon: Eine Frau ruft aufgeregt in ihr Handy: "Ich hab ihn gesehen! Voll cool, in kurzen Hosen!"

17:30 Uhr, am Checkpoint Charlie: Rund 200 Menschen warten vor dem Museum auf Obama - mehrere Zeitungen hatten spekuliert, dass er vorbeikommt. Doch er kommt nicht.

17:32 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: Von hier aus ist die Bühne kaum zu sehen, sie ist links von der Siegessäule. Der Reggae-Sänger Patrice, dunkle Haut, schmalziger Blick, betritt die Bühne und ruft: "Hey Leute, ich gebe jetzt hier ein Konzert." Doch niemand applaudiert.

17:48, Straße des 17. Juni, bei den Einlasskontrollen: Ein Mitglied der Security bittet eine junge Frau, ihre Cola-Flasche leerzutrinken. Sie weigert sich: "Ich muss jetzt schon pullern."

18:01 Uhr, erste Reihe vor dem Rednerpult: Wowereit erscheint auf der Sendetribühne der ARD, 50 Meter entfernt vom Rednerpult. Der Regierende Bürgermeister lächelt, winkt. Es dauert aber ein bisschen, bis die Besucher ihn bemerken.

18.15 Uhr, Straße des 17. Juni: Kurz vor der Absperrung steht die ehemalige WASG-Spitzenkandidation Lucy Redler. Sie hält ein Transparent der Sozialistischen Alternative: "Truppen raus aus Afghanistan". Sie sagt: "Es ist nicht meine Meinung, aber ich kann verstehen, dass Obama ein Hoffnungsträger ist."

18:20 Uhr, vor dem Brandenburger Tor: Tausende Menschen drängen vor den Absperrungen. Viele junge Leute, viele Schwarze, viele Anzugsträger. Über die Besucheranzahl will die Polizei keine Auskunft geben. Aber, so der Eindruck vieler Leute: "Es dürfte richtig voll werden, mindestens hunderttausend."

JL, GA, FN, FLEE, NGH

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