Preis für politische Lyrik: Politik zur Hälfte gereimt

691 Autoren wollen den neu ausgeschriebenen Preis für politische Poesie. Bei der Vergabe in Kreuzberg wird klar: Keins der Gedichte ist kämpferisch oder gar visionär

Zunächst kam einem die Sache ziemlich absurd vor: Die Berliner Zeitschrift Lauter Niemand, die mit einer 8.000er-Auflage eine der auflagenstärksten Literaturzeitschriften in Deutschland ist, hatte einen Preis für politische Lyrik ausgelobt, der Mittwochabend im Kreuzberger "Max & Moritz" an der Oranienstraße verliehen wurde.

Die Zeit, in der politische Lyrik populär war, in der in Jugendzimmern Erich-Fried-Gedichte die Gesinnung der Bewohner herausposaunten - "Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt", ist sehr lange vorbei. Selbst die im Umfeld ehemaliger DDR-Undergrounddichter wie Bert Papenfuß entstandene Lyrik, die bis Ende der 90er-Jahre in der politisch orientierten Zeitschrift Sklaven erschien (Sklaven variierte das Fried-Zitat zu: "Der Sand reicht uns schon jetzt bis zur Hüfte …"), kommt einem seltsam vergangen vor.

Dem Stifter des Preises, Jörn Sack, einem Literaturliebhaber, der sich als Jurist im Bundeswirtschaftsministerium um europäische Belange kümmert, sind die Probleme politischer Lyrik natürlich bekannt: Die Würde (und die Utopie) der Lyrik liegt in ihrer Zweckfreiheit; Politik hat es dagegen mit Zwecken zu tun; Gedichte, die politische Anliegen lautstark vermitteln, sind meist schlecht; usw. Dass auch scheinbar politikferne Werke durch die Hintertür sozusagen wieder politisch sind, lernt jeder Literaturwissenschaftsstudent via Walter Benjamin im ersten Semester und es verkompliziert die ganze Sache noch, wenn der politische Mehrwert sozusagen hinter dem Rücken und gegen die Intention von Dichtern entsteht.

Dass 691 Autoren, darunter 191 Frauen, viele auch aus Osteuropa, zur Hälfte in Reimform verfasste Werke einsandten, hat vermutlich nicht so sehr mit dem Thema des Wettbewerbs zu tun, sondern eher mit dem Internet. Dass kein einziges Gedicht "eine kämpferische oder gar visionär ausgerichtete Note anschlägt" (Sampler des Preises) und die Texte die politischen Zustände nicht loben, ist nicht überraschend, dass der Veranstaltungssaal des "Max & Moritz" aus allen Nähten platzte, dagegen schon.

Einerseits schreiben tatsächlich sehr viele Leute Lyrik, andererseits bestehe das Publikum von Lyrikveranstaltungen vor allem auch aus Dichtern, sagte René Hamann, dem später die mit 300 Euro dotierte Silbermedaille verliehen wurde. Die mit 500 Euro dotierte Goldmedaille gewann Herbert Laschet Toussaint (HEL), der in seinem Brotberuf in der "Altenpflegerei" arbeitet und in seinen Texten am deutlichsten Missstände anprangerte. 200 Euro und Bronze gingen an den Kölner Achim Wagner, der gerade in Istanbul weilt. Außerdem lasen an diesem Abend vier weitere Autoren, die in die engere Auswahl gekommen waren. In der weiteren Auswahl wurde auch der in den 90er-Jahren berühmte ehemalige Bürgerrechtler Lutz Rathenow lobend erwähnt.

Die präsentierten Texte unterschieden sich im Grunde genommen nicht von denen, die auf anderen gut besetzten Lyrikveranstaltungen verlesen werden. Das war zu erwarten gewesen und schien nur den Stifter des Preises ein bisschen enttäuscht zu haben. Einerseits lasen zu viele Dichter viel zu kurz, andererseits hätte man von jedem einzelnen gern mehr gehört: ein kaum zu lösendes Dilemma.

Zumindest ein lustiges Gedicht - von Lars-Arvid Brischke - war auch dabei und handelte von "184 Krawatten für Gerhard Schröder". Die "wiedererkennungskrawatte für frogs (friends of gerhard schröder)" gefiel mir dabei am besten.

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