Lehrpläne: Schüler sollen ungebildeter werden

Weil sie den Stoff bis zum Abitur in zwölf Jahren lernen müssen, sind viele Gymnasiasten überfordert. Klaus Wowereit will weniger Unterricht und eine Entrümpelung des Lehrplans - und widerspricht damit dem eigenen Bildungssenator.

Zu viel Stoff in zu wenig Zeit - Gymnasiasten sind überfordert. Bild: AP

Die Schüler der achten Klasse sind mächtig im Stress. "Sie müssen einfach zu viel Stoff bewältigen", sagt Michael Brüser, der die Jugendlichen an der 11. Schule in Mitte in Geografie unterrichtet. Die Achtklässler sind die Ersten am Gymnasium, die 2012 schon nach zwölf Jahren das Abitur ablegen sollen. "Das eine Jahr, das fehlt, muss in den Klassen fünf bis zehn rausgeholt werden", sagt Brüser. Die Schüler hätten pro Woche drei bis fünf Stunden mehr Unterricht und weniger Zeit für Freizeitaktivitäten am Nachmittag. Brüser ist deswegen der Meinung: "Den Schülern wird die Kindheit gestohlen."

Ein Vorwurf, den man dieser Tagen oft hört in Deutschland, wenn über die verkürzte Gymnasialzeit und ihre Folgen diskutiert wird. Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat sich jetzt in die Debatte eingemischt. "Wenn es dazu käme, dass die Kultusministerkonferenz endlich den Lehrplan entrümpelt, würde ich das sehr begrüßen", sagte er der Berliner Zeitung. Wowereit forderte zudem, die Zahl der Unterrichtsstunden zu reduzieren. Beides gehe aber nur gemeinsam mit den anderen Bundesländern, da sonst die Schulabschlüsse nicht gegenseitig anerkannt würden.

Unterricht am Sonnabend lehnte Wowereit ab. Er sprach sich stattdessen für mehr Ganztagsschulen aus, die ein Mittagessen anbieten und Hausaufgaben betreuen. In vielen Schulen ist das bisher nicht möglich, weil sie beispielsweise nicht über eine Mensa verfügen.

Mit der Forderung nach einem schlankeren Lehrplan widerspricht Klaus Wowereit in Teilen seinem eigenen Bildungssenator. Jürgen Zöllner (SPD) hatte sich vergangene Woche im Bildungsausschuss gegen eine Kürzung des Stoffes gewandt. Er sehe keinen Spielraum für Streichungen. "Alle Probleme, die heute diskutiert werden, waren schon bei der Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren bekannt." Berlin habe sich sorgfältig darauf vorbereitet.

Für den Geografie- und Geschichtslehrer Michael Brüser, der in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auch die Fachgruppe Gymnasien leitet, liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Es sei in den Lehrplänen bereits angedacht, Dinge exemplarisch zu behandeln und damit einen Teil des Stoffes wegzulassen. Wenn Brüser mit seiner achten Klasse heute beispielsweise Afrika durchnimmt, konzentriert er sich auf das Thema Unterentwicklung. Anders als früher beschäftigt er sich weniger mit den verschiedenen Staaten.

Trotzdem glaubt Brüser, dass die Straffung längst nicht ausreicht. Die Siebt- und Achtklässler kämen heute erst zwischen halb drei und drei Uhr aus der Schule. "In der sechsten und siebten Stunde sind die kaum mehr aufnahmefähig."

Teilweise sieht er die Schuld auch bei den Lehrern. Das Konzept, Themen exemplarisch zu behandeln, setzten viele so nicht um. "Viele Lehrer sind zu perfektionistisch. Es widerstrebt ihnen, Stoff wegzulassen."

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