Rauchverbot: Seit dem Rauchverbot riecht man eigentlich überall Rauch.

Verbotskultur

Es gab ja gerade diese Feuilletonistendiskussion, ob es nicht vielleicht doch okay ist, deutsche Rentner zu verprügeln. Ich glaube, es kommt auf den Einzelfall an. In Berlin gibt es ja seit wenigen Wochen ein Rauchverbot. Darauf hatte ich mich fast den ganzen Dezember gefreut. In den Clubs würde es zwar nach Schweiß stinken, hatte mich Sentja noch gewarnt, das zeige die Erfahrung in Spanien. Wahrscheinlich ist Schweißgeruch aber nicht so krebserregend.

Am Neujahrsmorgen gegen fünf saß ich auf einer Bank an einer U-Bahn-Station, hatte vorsichtshalber den Kopf zwischen die Beine genommen und wartete aufs SEK. Ich konnte wenig sehen, es war alles voller Nebel. Das mussten die Blendgranaten sein, dachte ich. Gleich würden die maskierten Uniformierten folgen. Bombendrohung. Terrorismus. Diese Richtung. Als der Nebel sich nicht verzog, aber kein SEK-Kommando erschien, entdeckte ich nach einer Weile die Zigaretten in den Händen der Menschen. Jeder, wirklich jeder der Umstehenden hatte eine Kippe zwischen den Fingern. Ich war für einen Moment verwirrt. Auf U-Bahn-Gleisen war das Rauchen doch verboten, oder? Ich bin Freiberufler, kein Rentner, also fuhr ich still nach Hause und ging schlafen.

Als ich einen Tag später in die S-Bahn stieg, wehten mir Rauchwolken entgegen. Sie kratzten in meiner Nase wie ein Wollpulli. Ich atmete mehrmals tief ein, um mich zu vergewissern, dass ich nicht halluzinierte. Dann sah ich die Russen. Sie waren zu dritt, hatten einen Tetrapack, auf dem irgendetwas von Harmonie stand, und sie rauchten selbstgedrehte Zigaretten. Es waren relativ alte Russen mit schlechten Zähnen und Sonnenbrillen. Ich bin in Ochsenfurt, wo ich aufgewachsen bin, einmal von einem Aussiedler verprügelt worden, weil ich ihm keine Zigarette gab. Ich hatte keine. Mein Vorteil damals war, dass er wegen des vielen Wodkas kaum stehen konnte und nicht mehr so zielsicher zutrat. Ich habe mich nicht gewehrt, aber irgendwann sehr laut geschrien. Seine Kumpels haben mich schließlich gerettet. Später gab es eine Jugendstrafrechts-Abschiebedebatte, die allerdings nichts mit mir zu tun hatte.

Soweit ich in der Zeitung lese, sind es meist junge Ausländer, die zuschlagen. Die rauchenden Russen waren alt. "Vielleicht sollte ich mit denen mal reden", dachte ich, "vielleicht gibt sich das Aggressive mit der Zeit." In diesem Moment formten sich Fetzen ihrer Unterhaltung zu organisiert-kriminellen Strukturen: Mafia, Italienisch, Russisch, Yakuza. Dabei sahen sie mich an und zeigten gelbbraune Zähne. Ich schluckte und schwieg. Als ich Zuhause in den Aufzug stieg, lag eine ausgedrückte Zigarette auf dem Boden.

Wenige Tage später in der S-Bahn und roch es schon wieder nach Rauch. Vielleicht rauchte jetzt einfach jeder überall, weil die anderen eh Angst hatten, verprügelt zu werden. Ich ließ meine Zeitung als Lesespende liegen und stieg aus. "Ja und der Müll bleibt hier, wa", meckerte eine dicke deutsche Rentnerin. In diesem Fall wäre ich beispielsweise dafür, dachte ich.

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